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Kultur: Glück braucht Geduld

Der Trailer des Leipziger Dokfilmfestivals, gedreht von Anja-Christin Remmert und Uwe Teske, ist von ungewöhnlich karger Schönheit.Ein Mädchen steht da am rechten Bildrand, sieht in die Kamera - in ein imaginäres Publikum.

Der Trailer des Leipziger Dokfilmfestivals, gedreht von Anja-Christin Remmert und Uwe Teske, ist von ungewöhnlich karger Schönheit.Ein Mädchen steht da am rechten Bildrand, sieht in die Kamera - in ein imaginäres Publikum.Im Hintergrund flattert ein Tuch im Wind, vermutlich eine Zeltbahn.Eine angedeutete Armgeste, wie sie Artisten vor dem Auftritt machen.Der Anflug eines Lächelns.Wind, Zeltknattern, Stimmfetzen und Hundegebell geben den Soundtrack, der nach dem Auftauchen des Festivallogo langsam ausblendet.

Wieder und wieder möchte man diese paar Sekunden sehen, so unaufdringlich sind sie und so eindringlich.Ist in ihnen nicht alles versammelt, was den klassischen Dokumentarfilm ausmacht? Wie aus "fast nichts" etwas entsteht.Das Spiel von Zeigen und Verweigerung, Mut und Scheu.Warten, ein Rhythmus - und irgendwann der "gelungene Augenblick", in dem der Funke überspringt.Mehrere Regisseuren in diesen Festivaltagen benannten es: das Glück des Filmemachers beim Erhaschen des flüchtigen Moments.Eine Kunst, die für ihre Produzenten die Vergänglichkeit des Lebens reproduziert, anstatt sie zu konterkarieren, auch wenn sie das Gezeigte für uns Zuschauer anscheinend dauerhaft auf Filmband bannt.

Das Dokfilmglück braucht Geduld.Gesteigert wird die Spannung durch die Begrenztheit des Filmmaterials, die sparsamen Umgang fordert.Vielleicht kein Zufall, daß die Glanzlichter dieser Leipziger Tage auf 35-mm-Film gedreht waren.Sergei Dworzewois "Brottag" etwa, der nichts anderes zeigt als den mühseligen Transport eines Güterwaggons per Hand durch einen russischen Winterwald und die Verteilung seines Inhalts: ein paar Kisten Brot, die von der Bäckereiverkäuferin nur widerwillig an die Mitdörfler einer halbverlassenen Siedlung ausgegeben werden."Brottag", der die "Goldene Taube" einheimste, beschränkt sich auf wenige Einstellungen; sie aber sind so kalkuliert, daß sie sogar Ziegen und Hunde zum Sprechen bringen.

"Brottag" ist Minimal-Dok.Auch wenn der polnische Dokumentarfilmer Marcel Lozinski (Kurzfilm-Taube für "Damit es nicht wehttut") aufbricht, um, nach 20 Jahren, zu einem früheren Film und dessen Protagonistin zurückzukehren, erweitert dies solchen Reduktionismus um die historische und selbstreflexive Dimension, bleibt aber im überschaubaren Raum.

Vielleicht fordert der Dokumentarfilm ja das schlichte Sujet.Oder woher kommt die Sehnsucht vieler Filmer nach dem Ursprünglichen? Auch Lozinskis Heldin ist eine - reichlich unangepaßte - Bäuerin: Urszula, Erbin eines kleinen Hofs und einsame Intellektuelle, die sich allen Härten zum Trotz für das Landleben entschieden hat.Neben den Motiven dieser Frau, die bis zur Schmerzgrenze ausgelotet werden, thematisiert der Film im Umgang von Bäuerin und Filmteam auch das Aufeinandertreffen zweier Lebensweisen.Dabei wird das Landleben keineswegs romantisiert, erscheint aber doch als Gegenbild.Erst am Schluß, wenn sich die Kamera zurückzieht, sehen wir die riesige Tankstelle, neben die der Hof sich duckt.

Auch Erich Langjahrs "Bauernkrieg" "spielt" auf dem Land, doch in einer Landwirtschaft, die bis auf die Kuhglocken demonstrierender eidgenössischer Bauern mit Idylle nichts mehr zu tun hat.Die Vertreibung resignierter Kleinpächter von ihrem Land, Versteigerungen von Leistungsbullen und eutergeschwollenem Zuchtmilchvieh, die serielle Herstellung schockgefrosteten Stierspermas mit Hilfe nachgebauter Ersatz-Vaginas: ein Schreckensbild der Agrar-Industrie, das längst Bauernalltag ist, doch uns hinter grünen Almweiden und lila Kühen verborgen bleibt.Mit der räumlichen Teilung von "reinem" und "unreinem" Bereich in einer Tiermehlfabrik hat Langjahr symbolische Bilder für diese Spaltung gefunden.Es war dann auch eine Sequenz aus dem unreinen Bereich der Tierkörperverarbeitung, die Zuschauer scharenweise aus dem Saal trieb.

Muß so etwas sein? Langjahr, ganz Künstler, bezeichnete die Frage nach der Schmerzgrenze angesichts solcher Bilder als musikalische Frage.Das Ergebnis gibt ihm recht.Denn es ist der Rhythmus dieses Films, der gelingen läßt, was so schwer ist: auch aus abstrakt Häßlichem sinnliche Präsenz zu erzeugen."Sehen, was wirklich los ist" ist das Motto des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm, das letztes Jahr seinen 40.Geburtstag feierte.Das klingt schön einfach.Aber läßt sich die Komplexität der Welt noch sichtbar machen, indem man einfach hinschaut? Langjahr ist es gelungen.

Einen anderen Weg hat die junge Amerikanerin Rebecca Baron mit "okay bye-bye" versucht.Baron nimmt einen gefunden Filmschnipsel zum Anlaß einer Recherche, die sie von Südkalifornien über Kambodscha und Vietnamkrieg bis zur Frage nach dem Stellenwert der Bilder führt.Doch dabei wird ihr jedoch die permanente Selbstreflektion ihres eigenes Forschungsinteresses zum Stolperstein.Dieser Film läßt die Bilder nicht zu Wort kommen.Und erstickt in Geschwätzigkeit.

Auch Lutz Dammbeck geht auf Recherche."Das Meisterspiel" nimmt einen kriminellen Akt, den Anschlag Unbekannter auf einige Gemälde des Übermalungs-Künstlerstars Arnulf Rainer, zum Anlaß, die Reise zu einigen auch weniger üblichen Verdächtigen aufzunehmen, wobei er erhellende Verknüpfungen zwischen Kriminalität, Kunstmarkt, Kunst und neuer Rechten entdeckt.Auch für Dammbeck ist das Attentat nicht mehr als Ausgangspunkt für ein Spiel.Immer aufs neue werden die Würfel ausgeworfen.Ein Dokkrimi ohne Lösung.Verschiedentlich wurde im Vorfeld des Festivals kritisiert, daß deutsche Filme diesmal nicht den ihnen gebührenden Stellenwert einnähmen.Eine dumme Debatte: Festivaldirektor Fred Gehler wies solch nationale Standortpolitik zu recht zurück.Dammbecks "Meisterspiel", der einzige deutsche Wettbewerbsbeitrag, der mit Patrizio Guzmans "Chile, das unbeugsame Gedächtnis" die Silberne Taube erhielt, ist jedenfalls kein Quotenfilm.Hoffentlich kommt er ins Kino.

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