zum Hauptinhalt

Kultur: Glückssucherin

Geschmacklos, diese rosa Plüschjacke. Dazu ein schwarzes Halsband, strähniges Haar, billige Schminke - das ist Ramona, 18, Heimkind aus Wien.

Geschmacklos, diese rosa Plüschjacke. Dazu ein schwarzes Halsband, strähniges Haar, billige Schminke - das ist Ramona, 18, Heimkind aus Wien. Sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her. Ramona ist gerade an einem deutschen Provinzbahnhof angekommen und will zu Toni. Toni hat ihr das Glück versprochen, damals in dieser einen Nacht im Prater. Sie hatten sich amüsiert und Toni hatte gesagt, wenn sie volljährig sei, werde er sie heiraten.

Und jetzt ist sie einfach gekommen, mit dem Baby von Toni. Aber der Vater ist nicht erfreut. Er muss seinen alten Vater versorgen, der für den Sohn nur Hass übrig hat. Und dann ist da noch Lana, die russische Aussiedlerin, für die Toni sich mehr interessiert. Ramona bleibt stur und nistet sich ein. Das Leben ist schäbig, aber es könnte so schön sein. Ja, ich will, sagt sie leise und trifft Hochzeitsvorbereitungen. Laut sagt sie, dass es bald so weit ist und sie dann eine richtige Familie sind. Das Baby schreit viel. Die anderen schweigen. Was soll man schon sagen.

Um das Haus herum liegen Kohlfelder. Man kann den Kohl beinahe riechen, dieses Stickige, den Mief der kleinen Leute, die nie auf die Idee kommen, dass die Welt eigentlich groß ist. Aber Iain Dilthey aus Schottland, 30-jähriger Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie, macht sich über seine Protagonisten nicht lustig. Er buchstabiert eine stille "Medea"-Tragödie in ebenso stillen, präzisen Bildern. Ja doch, es ist ein Drama von griechischem Ausmaß. Aber eines, das man leicht übersieht, weil die Helden nichts hermachen.

"Ich werde dich auf Händen tragen" ist der zweite Teil von Diltheys "Sehnsuchts-Trilogie" über verzweifelte Glückssucher, die er mit kleinem Team an Originalschauplätzen in der Umgebung von Ludwigsburg dreht, diesmal mit Eva Löbau und Dirk Waanders in den Hauptrollen: wunderbaren Akteuren der unaufdringlichen Art, des leeren Blicks, der Vergeblichkeit. Schauspieler, die ihre Figuren nicht schönen, sind selten im deutschen Kino.

Am Ende hat Ramona alles verloren. Nur ihre Würde nicht. Deshalb vergisst man sie nicht mehr: eine Nervensäge, die an ihrem Traum festhält und sich mit naiv-verrückter Selbstsuggestion eben jene Würde bewahrt in einer würdelosen Umgebung. Schade, dass der Film trotz zahlreicher Festivalerfolge von Hof bis Locarno bis heute keinen deutschen Verleih gefunden hat. Und schön, dass das Filmkunst 66 ihn nun in Berlin zweimal zeigt, am Freitag und am Sonntag. Ramona hat mehr Liebhaber verdient als nur uns professionelle Filmfestbesucher.

Zur Startseite