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Kultur: Glut, Schweiß und Tränen

Star-Pianist Yundi Li mit Chopin im Konzerthaus

Der Star-Appeal stellt sich sofort ein, wenn Yundi Li im Konzerthaus Klavier spielt. Fotoapparate blinken noch während der Vorführung, das Publikum will mehrere Zugaben (und bekommt doch nur eine), und in der Pause werden fröhlich CDs gekauft. Fast möchte man übrigens schreiben „Yundi Liszt“, so fein wie Zucker streut der 1982 in Chongqing geborene Pianist seine Läufe, so heftig prügelt er die Oktaven übers Klavier. Allerdings nennt sich Yundi Li seit dem Wechsel zu EMI „Yundi“. Und außerdem hätte Liszt bestimmt nicht nur Werke seines Freundes und später Nur-noch-Bekannten Frédéric Chopin gespielt. Tatsächlich gibt es an diesem Abend so viel Chopin, dass man sich daran fast überisst: fünf Nocturnes, das Andante spianato mit der Grande Polonaise brillante, vier Mazurken, die zweite Sonate mit ihrem rätselhaften Finale, das Yundi so schnell spielt, dass nur noch ein Brabbeln zu hören ist, schließlich die „heroische“ Polonaise op. 53.

Solche Fülle kann nur den verwundern, der nicht weiß, dass alle Teilnehmer des Warschauer Chopin-Wettbewerbs – den Yundi 2000 gewann – auch alle der gut zweihundert Chopin-Klavierstücke spielen können müssen. Also fast. Jedenfalls hat Yundi zuletzt immer wieder Chopin aufgeführt und aufgenommen; dass ein Abend wie dieser für ihn nur einen Griff in die Kiste bedeutet, wird sofort klar, trotz der Schweißtropfen, die fliegen. Seit 2000 sind längst neue Interpreten am Chopin-Himmel erschienen, manche langweilig, manche kühn, alle supersorgfältig. Yundi ist von allem etwas, weil er zu allem die Möglichkeiten hat: gelangweilt, geradezu teilnahmslos in den ersten beiden Mazurken op. 33, dann wieder etwas kühn, wie im zarten Nocturne op. 9,2, das er zu einem heldischen Stück hochjazzen möchte.

Supersorgfältig ist er nicht immer, am wenigsten in der oft willkürlich wirkenden Strategie, Klänge herausplatzen zu lassen. Ob man das eigene Repertoire auch hassen kann? So klingt es mitunter, in den fettigen Akkordmassen des Trauermarsches, bei der banal quiekenden Eingangsfanfare der Grande Polonaise, sonst die schönste Nummer an diesem Abend, oder bei den Akkordtreppen, die Chopin gern an das Ende seiner versonnenen Stücke montiert. Und das Andante spianato? Fast schon interessant, wie nichtssagend es vorüberrauscht. Christiane Tewinkel

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