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Kultur: Goethe nervt

Goethe muß sein, auch wenn die uraufgeführte Oper "Caroline" heißt. Schließlich sind wir in Weimar, im Deutschen Nationaltheater.

Goethe muß sein, auch wenn die uraufgeführte Oper "Caroline" heißt. Schließlich sind wir in Weimar, im Deutschen Nationaltheater. Da kommt man nicht umhin, da ist das Denkmal, nicht nur draußen vor der Tür, sondern auch drinnen auf der Bühne von Anfang an präsent. Ralph Günther Mohnnaus provokatives Librettokonstrukt: Das bleichgesichtige, graue Denkgespenst im Bürgerrock (Mario Hoff) als reaktionär-altväterlicher Widerpart zu Caroline (Ricarda Merbeth), der leidenschaftlich freigeistigen Professorentochter im blauen Bürgermädchengewand. Das sybolische Vernunftkorrektiv, das die Revolutionärin aus Leidenschaft immer wieder in die bürgerlichen Bahnen zurückführt.Denn Caroline will überhaupt nicht so wie sie soll. Doch sie muß, immer wieder: 1784 heiratet sie auf väterlichen Druck den Bergmedicus Johann Böhmer, nach dessen Tod geht sie dann - Mutter eines unehelichen Kindes aus der Affaire mit einem französischen Revolutionsarmisten und gerade dem Kerker entronnen - 1794 eine zweite Ehe mit dem Philosophen August Wilhelm Schlegel ein. "Eine Ehe zerstört alles", singt sie schon als junges Ding, umgarnt von flirrenden Harfen und Flötenklängen, im ersten Akt der zweiteiligen Oper, zu der der Weimarer Kompositionsprofessor Michael Obst die Musik geschrieben hat. Bedrohlich spreizen sich da im konventionell bestückten Orchestergraben die Streicher zu gebrochenen Riesenintervallen, und finsterer Schlagwerkdonner kündet vom wilden Kampf in ihrer Brust, den Caroline jedoch aufgrund unbezähmbarer Lebenslust trotz der auferlegten Zwänge immer wieder gewinnt - solange, bis am Ende Auguste (Marietta Zumbült), die Tochter, die die Freiheitsliebe der Mutter geerbt hat, stirbt.Für Obst/ Mohnnau ist die Personalstory der Philosophengattin, Publizistin und bürgerlichen Freidenkerin Caroline Böhmer-Schlegel-Schelling nur der Dreh- und Angelpunkt für ein postmodernes Kaleidoskop geistesgschichtlicher, realhistorischer Szenensplitter aus revolutionärer, frühromantischer Zeit. Eine übergeordnete Perspektive gibt es nicht. Selbst die vier "Unzeitgemäßen" wechseln in ihren kommentierenden Intermezzi die Perspektive genauso häufig wie die Verkleidungen: Gleich zu Beginn entspringt das buffoneske Quartett in der Inszenierung des scheidenden Operndirektor Ehrhard Warneke aus den Rockfalten der mitten auf Dieter Langes multifunktionaler Drehbühne trohnenden Caroline. Die vier werfen Fragen auf wie: "Was ist eine Frau?", "Was ist die Liebe?", die Mohnnau mit Zitatschnipseln aus historischer und gegenwärtiger öffentlicher Meinung konfrontiert.Und wo ein Goethe auftritt, da ist in Weimar auch ein Herzog (Herbert Dudzik) nicht weit. "Sind die Deutschen fähig zu einer Revolution?", will der alte Carl August im historischen Brokatgewand wissen, während er mit seinem Dichterfürsten unterhalb der gekippten Drehbühne in einer Art Zitatenrumpelkammer (im Hintergrund flezt der alte Johann Wolfgang in Gestalt seines eigenen Denkmals) beim Wein zusammensitzt. "Das Volk ist dumm, deshalb braucht es einen Knüppel", tönen die "Unzeitgemäßen" von oben. "Die Deutschen brauchen keine Revolution, sie tragen die Freiheit im Herzen", antwortet Goethe.Ein Opernstoff? Zwar gelingt es Obst, die Singstimmen im polyphonen Klangschichtengeflecht so zu gestalten, daß man einen Großteil des Textes tatsächlich versteht. Vor allem Mario Hoff als Goethe parliert und doziert geradezu vorbildlich. Aber trotz der gestalterischen Kraft von Hoffs wohlgeformtem, stringent geführtem Bariton langweilen die ewigen perkussiven Tonwiederholungen mit der Zeit. Goethe nervt. Es ist zu bezweifeln, ob die Oper der richtige Platz für solche diskursiven Debatten ist.Ganz offensichtlich haben Obst/ Mohnnau bei der emotionalen Charakterisierung der Figuren ganz auf die Musik vertraut. Doch Obst zitiert und parodiert, schichtet und instrumentiert so ehrgeizig, daß das gesamte Geschehen in einem nur schwer zuzuordnenden indifferenten, illustrativen Klangbrei verschwimmt. Einzige Orientierunghilfe ist da Warnekes handwerklich stupende Inszenierung, die immer wieder Obsts ambitioniertes, zitatüberladenes Klanggemälde in wirkungsvolle Bilder übersetzt. Spektakulär die Silvesterszene (Zeitenwende!) 1799/ 1800, in der Caroline zusammen mit Schlegel, dessen Bruder Friedrich, Schleiermacher und Schelling Kollege Schiller zur Strafe für allzu idealistische Frauenanschwärmerei als Sternschnuppe in den Bühnenhimmel jagt. Das Menuett aus Mozarts "Don Giovanni" ist da als Parodie zu hören. Und Goethe steht abseits mit verbundenen Augen, blind für das, was da im romantischen Eifer geschieht. "Teutschland", skandieren Burschenschaftler im Anschluß daran, und man ahnt, was kommen wird.Doch über Caroline, "eine der interessantesten Frauenfiguren der Frühromantik", wie es in der Vorankündigung heißt, erfahren wir nicht sehr viel. Auch für Obst und Mohnnau ist sie nur Vehikel für ein buntes Sammelsurium - männlicher - Ideen- und Gedankenflut. Lediglich Ricarda Merbeth, die Obst mit seiner Komposition an die Grenzen eines lyrischen Soprans treibt, vermittelt vor allem in den hochexpressiven, ariosen Passagen der Titelfigur eine Ahnung von der Kraft, mit der sich die Göttinger Professorentochter mitten im von männlichem Revolutions- und Tatendrang dominierten Geschehen ihrer Zeit immer wieder einen Platz erkämpft hat. Sie hätte das subjektiv-suggestive Zentrum sein können, das diesem Werk so dringend fehlt. Doch irgendwie hat Mann sich da wohl nicht richtig rangetraut.

Wieder am 15. Juli, 7., 19., 26. August im Nationaltheater Weimar, jeweils 19.30 Uhr.

MARION AMMICHT

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