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Kultur: Goethe und Schuld

Am 11. September wäre er 100 Jahre alt geworden. Bis dahin zitieren wir täglich Theodor W. Adorno

Bei alldem jedoch hat die Rede vom Schuldkomplex etwas Unwahrhaftiges. (...) Mit Hilfe des Wortes Komplex wird der Anschein erweckt, dass die Schuld, deren Gefühl so viele abwehren, abreagieren und durch Rationalisierungen der törichsten Art verbiegen, gar keine Schuld wäre, sondern bloß in ihnen, ihrer seelischen Betroffenheit bestünde: Die furchtbar reale Vergangenheit wird verharmlost zur bloßen Einbildung jener, die sich davon betroffen fühlen. Oder sollte gar Schuld selber überhaupt nur ein Komplex, sollte es krankhaft sein, mit Vergangenem sich zu belasten, während der gesunde und realistische Mensch in der Gegenwart und ihren Zwecken aufgeht? Das zöge die Moral aus jenem „Und ist so gut, als wär es nicht gewesen“, das von Goethe stammt, aber, an entscheidender Stelle des Faust, vom Teufel gesprochen wird, um dessen innerstes Prinzip zu enthüllen, die Zerstörung von Erinnerung.

Aus: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. 1959. In: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan BuckMorss und Klaus Schultz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1997. Band 10.2

WAS ADORNO SAGT (12)

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