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Kultur: Götter sind auch nur Menschen

Das Ende der Ekstase: Dieter Dorn zähmt „Die Bakchen“ im Münchner Residenztheater

Die wilden Bakchen, Wein, Tanz und Gott Dionysos verschworen, schieben sich drohend nach vorn, mit Lanzen einen fetzigen Rhythmus skandierend. Doch das war es schon, wilder wird’s nicht. Kein Rausch, keine Wucht, hohler Theaterton beherrscht die Bühne, der Chor der Bakchen erinnert an zahmes Schülertheater. Das Herz könnte einem brechen ob dieser vertanen Chance, mit dem fabelhaften Ensemble des Münchner Residenztheaters etwas auszusagen zur Zeit durch den Mund des Euripides. Doch nein, Dieter Dorn zieht sich zurück hinter das geschriebene Wort, will keinen Zeitbezug, und die Neu-Übersetzung von Michael Wachsmann macht den von Anspielungen auf griechische Mythologie durchzogenen Text weder verständlicher noch griffig.

Das Bühnenbild, wie die Kostüme von Stefan Hageneier, ist ein striktes Gehäuse aus Sichtbeton, mit griechisch blauen Hinterräumen, als Zierblende rot-weiß ein Absperrband. Später wird Jens Harzer, der König von Theben, höchstpersönlich auf eine Leiter steigen, um ein Deckenloch damit zu markieren. Im Griechenstaat, zur Zeit von Euripides in heilloser Unordnung, herrscht Einsturzgefahr, nach Dionysos Fluch werden die hinteren Hallen malerisch zerbersten. Nichts hält hier, nicht die scheinbare Vernunft des Pentheus, ein Toter liegt auf der Bühne, vermutlich Aktaion, der hochmütig den Göttern trotzte wie nun Pentheus.

Zwei glückliche Jahrzehnte lang hatte Dieter Dorn er die Münchner Kammerspiele geprägt, er kam dort zu Ruhm und Ehren. Viele seiner Inszenierungen sind unvergesslich, wie „Minna von Barnhelm“, „Troilus und Cressida“ und „Schlusschor“. Jetzt kann er als Intendant des Residenztheaters am 31. Oktober seinen 70. Geburtstag feiern, im Aussehen erstaunlich jung geblieben. Leider nicht beim Inszenieren.

Schon die Besetzung wundert: Der große alte Rolf Boysen als verführerischer Dionysos im lockigem Haar und der junge Jens Harzer als gleichaltriger Pentheus? Die beiden sind dennoch das Beste an dieser in hochmütige Ferne gerückten Inszenierung, abgesehen von Hartmut Stanges fesselndem Botenbericht von der grässlichen Zerstückelung des Pentheus durch seine in Wahn versetzte Mutter.

Eine Gestalt mit mächtigem Stierhaupt tritt auf, sagenhafte, göttliche Größe kündigt sich an, doch das Haupt wird abgenommen, ein clownähnlich geschminkter Mensch tritt ab durchs Publikum, wie darauf alle anderen auch. Jaja, alles Menschen wie wir, und die brüllenden, blutverschmierten Könige, Seher, Hirten sind umso mehr entlarvt als angemalte, verkleidete Schauspieler. Nur Rolf Boysen gelingt es, alterslos entrückt, sogar verführerisch, dem grausamen Theatergott Gestalt zu geben.

Aber das Wunders dieses Abends ist Jens Harzer. Souverän schwebt er über den Niederungen der disparaten Inszenierung: Pentheus als moderner Skeptiker, erfüllt von heiter ironischer Selbstzufriedenheit. Ein verwöhnter Jüngling, der sich im Hass gegen den Eindringling Dionysos verrennt. Kein Liebhaber der Frauen, wie er inmitten der Bakchenschar da spöttisch da eine Wange kneift, dort einen Kopf krault. Und später kurz erduldet, von einem Wachmann zärtlich umschlungen zu werden.

Nicht schlecht, der Gegensatz von bewegten Frauen und waffenstarren Männern. Nicht schlecht, ein schwules Moment anzudeuten bei Pentheus, der sich erstaunlich schnell verführen lässt und als Frau verkleidet die Orgien, sprich: die heiligen Handlungen der Frauen ausspäht im sagenträchtigen Gebirge von Kithairon. Aber das Konzept bleibt brüchig.

Oder soll Dorns Bakchenchor, designt wie eine Parade von Ethno-Models, womöglich Frauen von heute zeigen? Frauen, unfähig zu wahrer Ekstase, bei denen es gerade für ein wenig Trommeln reicht und gehemmtes Gezucke? Mit Gisela Stein als Chorführerin, die zwar mitdenkend und fühlend ihre Texte aufsagt, aber dennoch wie der Theaterschatten ihrer selbst erscheint? Mit einem Rudolf Wessely als greisem Kadmos, der anfangs nicht zur Komik findet, aber am Ende immerhin zur Trauer angesichts seiner glimmernd fleischfarben gewandeteten Tochter Agaue: Sibylle Canonica, die wenigstens Furcht durchschimmern lässt bei der wahnhaften Vorführung vom Kopf des Pentheus statt eines Löwen als Siegesbeute. Später sitzt sie nur rum – wie der Chor rumsteht, rumsitzt. Was haben die drei mitarbeitenden Regisseure für Regie, Bewegung und Sprache nur in den Proben gemacht? Gedämmt? Gezähmt? Was wollte Dorn?

Kein Erschrecken angesichts von Pentheus’ gnadenloser Verfolgung des Fremden und von Dionysos’ gnadenloser Rache. Keine Ratlosigkeit angesichts von zwei Prinzipien, die unvereinbar aufeinander prallen. Nicht beunruhigt durch Euripides’ hellsichtiges Drama über Unvollkommenheit und Uneinsichtigkeit von Mensch und Gott, das auf die Versöhnung von Verstand und Gefühl zielt, auf Mäßigung und Demokratie in einer Welt ohne Götter. In einem Monat zeigen die Münchner Kammerspiele ihre Sicht der „Bakchen“. Noch besteht Hoffnung.

Ulrike Kahle

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