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Kultur: Göttliche Postkarten

Die Berliner Akademie der Künste ehrt Jurek Becker

Mit Jurek Becker haben die amtlichen Kategorisierer des Literarischen stets ein Problem gehabt. Da hatte ein polnischer Jude den Holocaust überlebt und war deutscher Schriftsteller geworden. Und zwar einer, der mit Witz und Leichtigkeit erzählte. Für den Film „Jakob der Lügner“ erhielt das SED-Mitglied Becker 1975 den Nationalpreis der DDR – und aus den USA die Nachricht von der Oscar-Nominierung. Die einzige, die je ein deutscher demokratischer Streifen einheimsen konnte. Doch erst, als er seinem Freund Manfred Krug das Drehbuch von „Liebling Kreuzberg“ auf den Leib schrieb, wurde Becker richtig bekannt. Fast beängstigend fand er das manchmal, ein „Fernsehfuzzi“ wollte er nie sein.

Vermutlich am 30. September wäre Jurek Becker 65 Jahre geworden. Vermutlich, weil die Geburtsurkunde abhanden gekommen war. Als Fünfzehnjähriger musste er eidesstattlich erklären, „dass ich nach Angaben meines Vaters am 30.9.37 in Lodz geboren bin.“ Die Erinnerung war Becker so weit zum Problem geworden, dass er sich seine Kindheit im Ghetto und dann in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen schreibend erfinden musste. Nun, fünf Jahre nach seinem Krebstod, hat sich ein ganzes Stück dieser Erinnerung materialisiert. Gerade ist eine Biografie des amerikanischen Germanisten S. L. Gilman erschienen (Ullstein, 236 S., 22 €). Und aus dem Nachlass, der an die Berliner Akademie der Künste gegangen war, liegt ein opulenter, von Karin Kiwus herausgegebener Band vor. (Akademie der Künste, 238 S., 18 Euro) Freunde wie Joachim Sartorius, Klaus Staeck und Peter Schneider stellten ihn kürzlich mit einer Lesung an der Akademie vor.

Ein Lebenslauf en miniature beginnt so: „Ich wurde am, in, als einziges. Mein Vater war, meine Mutter.“ Becker war ein Meister der anspielungsreichen Reduktion. Und der göttlichste Postkarten-Dichter, den die deutsche Literatur aufzuweisen hat. Aus den knappen Botschaften, die er an Freunde und seine Frau Christine schickte, lassen sich häufig poetologische Überzeugungen ablesen. Als Becker die DDR verlassen hatte, bekannte er, dass das Zwischen-den-Zeilen-Schreiben unter Zensurbedingungen ihn „zu einem schlechteren Schriftsteller werden lassen, als es nötig gewesen wäre.“ Nicht die leiseste Andeutung über die segensreichen Wirkungen der Diktatur für die Kunst findet sich da. Melancholie schlug bei ihm nie in Weinerlichkeit, Illusionslosigkeit nie in Zynismus um. Nicht zuletzt das macht ihn zu einem großen Autor. Steffen Richter

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