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Götz George

© dpadpa)

Götz George: Der Jäger und die Beute

Kind, Abenteurer und Berserker: eine kleine Hommage zum 70. Genurtstag des Schauspielers Götz George.

Eine Schlüsselszene im Leben von Götz George spielt im Dezember 1945. Er ist sieben Jahre alt, zusammen mit seiner Mutter, der Schauspielerin Berta Drews, fährt er mit der Straßenbahn nach Berlin-Hohenschönhausen. Dort, in einem sogenannten „Speziallager“, hält die sowjetische Geheimpolizei seinen Vater Heinrich George gefangen, der als Star in Propagandafilmen wie „Jud Süß“ oder „Kolberg“ und als Intendant des Schiller-Theaters zur kulturellen Elite des NS-Regimes gehört hatte.

„Götz zittert ein bisschen, er ist aufgeregt“, so hat Berta Drews die Begegnung später geschildert. „Wie aus dem Erdboden taucht George plötzlich auf. Mit weit ausholenden Schritten kommt er auf uns zu, der Kleine fliegt ihm an den Hals.“ Es ist eine Umarmung, die sich tief einprägt in das Gedächtnis von Götz George. „Ich habe erst später kapiert, was da passiert ist“, sagt er heute. „Wie er mich hochgehoben hat, wie er sich anklammerte an mich, weil er wahrscheinlich schon wusste, dass er bald stirbt.“ Vater und Sohn haben sich nicht mehr wiedergesehen. Heinrich George stirbt im September 1946 in sowjetischer Haft.

Söhne bewundern ihre Väter, bis sie irgendwann gegen sie rebellieren. Götz George hat oft Rebellen gespielt, als Actionheld in Filmen wie „Der Schatz im Silbersee“ oder „Wartezimmer zum Jenseits“ und als TV-Kommissar Schimanski, der statt den Vorschriften lieber seinen Gefühlen gehorcht. Aber ein Rebell in der Wirklichkeit ist er nie gewesen. Als er ins Rebellenalter kam, war sein Vater nicht mehr da. So hat er ihn auf ein Podest gestellt, unerreichbar für jede Kritik. „Mein Vater war ein Monument an Kraft und Charakterstärke, immer noch vorbildlich für mich“, sagt er in der Dokumentation „Nicht reden, machen“, die die ARD heute Abend zu seinem 70. Geburtstag sendet.

Hätte der Vater– ein wuchtiger Kraftmensch in seinen Rollen und wohl auch privat ein Berserker – überlebt, wäre der Sohn wohl nie Schauspieler geworden. Eine Maxime des Kraftkerls Heinrich George lautete: „Ein Genie in der Familie ist genug.“ Christian Schröder

Wenn die Erinnerung nicht trügt, waren die Winnetou-Filme Mitte der sechziger Jahre eine westdeutsch-alliierte Kommandoaktion. Das alles überragende Thema: Freundschaft. Männerfreundschaft, um genau zu sein. Der schicke Indianerhäuptling wurde von einem Franzosen gespielt, sein Partner von einem Amerikaner; nur die Briten fehlten. Gibt es überhaupt britische Western? Aber das tut hier nichts zur Sache. Zwischen den großmächtigen Helden tummelten sich schöne und junge Deutsche: Uschi Glas, Karin Dor und Elke Sommer. Einmal war sogar – nicht mehr ganz jung, aber immer noch herb und schön – Marianne Hoppe dabei. Gründgens befand sich bereits in den ewigen Jagdgründen. Und einer fiel damals schon als Raufbold und Draufgänger auf: Götz George. Bei drei Karl-May-Streifen (so hieß das damals) war er dabei: „Unter Geiern“, „Der Schatz im Silbersee“, „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“. Götz George spielte den aufrechten Abenteurer, der die Gerechtigkeit liebt. Und für sie kämpft. Vom Western der Kunstindianer (man drehte in Jugoslawien) in den westdeutschen Westen (Duisburg! Schimanski!) war der Weg gar nicht so weit. Es waren für viele die ersten Kinoerlebnisse überhaupt, tränenreiche Stunden. Und Martin Böttchers Winnetou-Musik macht auch heute noch Gänsehaut – der erste Musenkuss. Oder waren es doch die Nibelungen-Filme? Denn die Erinnerung ist so betrügerisch wie die Bleichgesichter. Rüdiger Schaper

Im Ruhrgebiet liegt Neuss, die Stadt am Niederrhein, zwar wahrhaftig nicht mehr. Aber auch in Neuss gab es in den achtziger Jahren noch einen pittoresk verrußten Industriehafen, an dem die Pötte ankamen, um für die Fabriken Rohstoffe abzuliefern. Kein Wunder, dass die Duisburger Location-Scouts für ihren sechsten Tatort mit Götz George nur wenige Kilometer rheinaufwärts fündig wurden: bei der Walter Rau AG, wo zu den dicken Tankern auch noch riesige stählerne Silos, eine finstere Ölraffinerie und die efeubewachsene Fabrikantenvilla aus der Gründerzeit kamen. Das perfekte Ambiente für einen Mord, den nur der „Tatort“-Kommissar Schimanski aufklären konnte, und die große Chance für die kleine Lokal-Volontärin, deren Vater damals noch in der Villa saß.

Was also konnte ich ihn fragen, den medienscheuen Star, der da regelrecht dampfend von den Dreharbeiten für „Kielwasser“ plötzlich neben mir auf dem Empfangssofa saß und sich zwischendurch Zeit für ein Exklusiv-Interview nahm? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Nur so viel, dass ich ihn nach seinem Vater zu fragen begann, aber das kam nicht wirklich gut an. Vermutlich sprachen wir noch darüber, ob ihm das Setting gefiele. Und dann musste Schimmi auch schon wieder auf Verbrecherjagd. Was für ein Mann!

In Erinnerung blieb vor allem die graue Parkajacke über dem aufgeknöpften Shirt. Womit die Konstanten eines jeden „Tatort“ mit Götz George erfasst sind: Industriekulisse und ein ganzer Kerl. Dazu mag sich jeder seinen eigenen Film drehen. Der Schauspieler redet eben nicht gern. Nicola Kuhn

Ein Schwein ist er, aber auch eine arme Sau. Eine, die bejammernswert quiekt und quietscht, weil man sie doch totmachen wird nach diesem Herumgejage hier auf dem Schlachthof der Wörter, steht alles schon fest, das Beil saust runter, Kopf ab. So wie er selbst ein paar Jahre lang in Hannover „Köppe kaputtgekloppt“ hat von „Puppenjungs“ und die zerschnittenen Körper ins Klo gespült, ab damit in die Leine.

Fritz Haarmann, amtlich geköpft 1925 wegen Mordes in 24 Fällen: „Der Totmacher“ kam schon fast ein bisschen spät in seiner Karriere, aber er wurde Götz Georges größte, finsterste und auch international erfolgreichste Rolle. Schmutzig-prollige Jäger hat er immer wieder gespielt, fürs Fernsehen und auch manchmal im Kino, zuletzt die rasende Reporterschmiere in Helmut Dietls „Schtonk!“, in Romuald Karmakars erstem Spielfilm (1995) aber ist er selber der Gejagte. Der Gefasste. Der Gefangene. Ein Serienkiller am Ende – und doch einer, der seinen psychiatrischen Großinquisitor zu rühren versteht, einer, der sich herauswindet aus dem Schraubstock der Ächtung und als Mensch erkennbar wird, ja, ein Mensch auch er.

Kalt überläuft einen, wie viel auch dazwischenliegen mag, die Erinnerung an diesen Film und das grandiose Menschenmonster in seiner Mitte. Der Parforceritt des Schauspielers auf dem Vernehmungsstühlchen, dazu Jürgen Hentsch als erst forscher, dann eher forschender Psychiater, dazu Pierre Franckh als stummer Stenograf in wachsender Bedrängnis: Mehr braucht es nicht für dieses Kammerspiel, den Tanz der Kamera um ein noch eben lebendiges Vorhöllengesicht, schlechte Zähne, Pickelhaut, rasierter Kopf. Haarmann haararm, letzte Klappe.

Den Darstellerpreis beim Festival in Venedig hat Götz George damals bekommen und allen als schaurige Serienmörderfigur die Zunge rausgestreckt, die ihn schon in anderweitigem Serienleben eingemeißelt sahen. Und sich nebenbei die eigene Seele aus dem Leib gebettelt, genuschelt, geheult, gekloppt und gebrüllt. Nichts schlimmer dann und nichts schöner auch, als von Grenzen zurückzukehren, die man kennt. Jan Schulz-Ojala

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