zum Hauptinhalt
George

© dpa

Götz George: "Radikalität gehört zu meinem Beruf"

Der Schauspieler Götz George über sein zähes Herz, seinen Vater und sein Alter Ego Schimanski.

Herr George, Sie werden im Sommer 70. Man mag das gar nicht glauben, denn Sie sind ein Inbegriff von Vitalität. Kriegen Sie manchmal einen Schreck, wenn Sie an die Zahl 70 denken?

Nein, daran denke ich nicht. Ich habe so viele 70-, 80-Jährige gespielt, da befasst man sich irgendwann nicht mehr mit dem eigenen Alter. Ich kann in dieses Verfallsdatum einsinken und den Spaß am Verkleiden und Verstellen auskosten. So eine Verwandlung in einen Greis ist ein spaßhaftes Unterfangen, wenn man, wie ich, noch gut beieinander ist. Es ist aber auch ein Spiel am Abgrund. Doch ich habe keine Angst vorm Tod, weil ich ihn schon 100 Mal gespielt habe.

Fühlen Sie sich manchmal alt?

In meinem Alter hat man nur noch eine gewisse Kondition, auch wenn ich mich mein ganzes Leben bemüht habe, gesund zu leben und viel Sport zu treiben. Gleichzeitig wird man im Alter beweglicher, im Kopf. Du kannst schneller umschalten, du kapierst Rollen schneller …

Im letzten Jahr haben Sie eine lebensbedrohliche Krankheit überstanden. Ein Aneurysma an Ihrem Herzen musste entfernt werden. Dazu wurde in einer Operation das Brustbein geöffnet und ein künstlicher Herzstillstand herbeigeführt.

Das war eine Reparatur, sage ich mal. Normalerweise hat die Aorta einen Durchmesser von 2,5 Zentimetern, bei mir hatte sie sich aufgrund einer Gewebeschwäche auf 5,3 Zentimeter erweitert. Das ist wie ein Schlauch. Wenn der platzt, bist du weg.

Hatten Sie Todesangst?

Habe ich nie gehabt. Auch nicht bei meinem Badeunfall auf Sardinien vor zehn Jahren, als ich von einem Motorboot überfahren und dabei mein Bein völlig zertrümmert wurde. Bei mir ereignen sich die Schicksalsschläge im Zehn-Jahres-Rhythmus. Der Unfall ist zehn Jahre her, dann kann mich in zehn Jahren vielleicht der Tod überraschen.

Als Ihr Vater Heinrich George 1946 im sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen starb, war sein letztes Wort „Götz“. Sie waren bei seinem Tod acht Jahre alt, Ihnen blieben kaum Erinnerungen an ihn. Wie sehr hat die Suche nach der verlorenen Vaterfigur Ihr Leben geprägt?

Ich habe nicht gesucht, in meinem Leben hat sich immer alles so ergeben. Dem Deltgen bin ich nicht nachgelaufen, das hat sich so gefügt. Zu Heinz Hilpert hat mich meine Mutter Berta Drews 1959 gebracht, weil sie sagte: Du musst in der Provinz anfangen, und wenn du bei einem etwas lernen kannst, dann nur bei Hilpert in Göttingen. Hilpert, Deltgen und die Löck, aber auch Kollegen wie Curt Bois, Bernhard Minetti oder Will Quadflieg haben mir viele Dinge über meinen Vater erzählt, und das war für mich beglückend: Er war ein großer, zivilcouragierter, humorvoller Schauspieler, der nur für seinen Beruf gelebt hat und letztendlich auch für ihn gestorben ist.

Ihrem Vater ist immer wieder seine Nähe zum NS-Regime vorgeworfen worden.

Er ist angepisst worden von Leuten, die nichts über ihn wissen und ihn in die rechte Ecke zu rücken versuchen. Dabei ist er längst rehabilitiert worden, selbst vom KGB. Er war zum Beispiel nie, was immer wieder behauptet wurde, Mitglied der NSDAP. Er hat in Propagandafilmen wie „Jud Süß“ oder „Kolberg“ mitgespielt, aber das geschah auf Zwang. Er hat gesagt: ‚Ich will mit meinem Beruf in diesem Land bleiben. Das ist meine Sprache, ich kann keine andere.’ Weggegangen sind nur die jüdischen Schauspieler, weil sie mussten. Von den anderen Schauspielern hat keiner Deutschland verlassen. Außer der Dietrich, aber bei ihr waren es auch andere Beweggründe.

Hätte Ihr Vater überlebt, wären Sie nie Schauspieler geworden, sagten Sie. Aus Angst, vor ihm nicht bestehen zu können?

Nein, das hatte mein Vater zu seinen Lebzeiten bestimmt. Er hatte gesagt: Meine Söhne werden alles andere, nur keine Schauspieler. Weil er sich natürlich geniert hat, dass sie dann das Klassenziel nicht erreichen. Mein Vater war ein Jahrhundertschauspieler, da wäre es für uns schwer geworden, heranzureichen.

Mit Filmen wie „Jacqueline“ oder „Der Schatz im Silbersee“ stiegen Sie schon in den fünfziger und frühen sechziger Jahren zum Kinostar auf. Später galten Sie den Regisseuren des Jungen Deutschen Films als Vertreter von „Papas Kino“, obwohl Sie jünger waren als viele von ihnen. Fanden Sie das ungerecht?

Nein, du wirst in so eine Zeit hineingeboren, und wenn du dann keine Filmangebote mehr kriegst, machst du halt was anderes, Theater und Fernsehen. Ich hatte mit Meistern wie Staudte, Kurt Hoffmann und Dieterle gearbeitet. Ich war ein Profi, deshalb hatten die Jungfilmer auch eine Scheu vor mir.

Fassbinder soll bei der Biberkopf-Rolle in „Berlin Alexanderplatz“ an Sie gedacht haben. Es kam aber nur zu einer fast wortlosen Begegnung an einem Flipperautomaten in einem Berliner Spielsalon. War das die verpasste Chance Ihrer Karriere?

Nein, dem trauere ich nicht nach. Fassbinder fand ich nie so toll. Die Art zu arbeiten hat mir nicht gefallen. Ich kannte Fassbinders Truppe durch meinen Bruder Jan, der in einigen seiner Filme mitgespielt hat. Das war so ein Stamm, und ich mag keine Vereinsmeierei. Als die Filmangebote für mich ausblieben, fand ich meine Erfüllung darin, mit dem Theater auf Tournee zu gehen. Ich durfte mir meine Rollen aussuchen und später inszenieren. Das war ein vagabundierendes Leben, das ich unendlich berauschend fand.

Ende der siebziger Jahre war Ihre Karriere an einem Tiefpunkt angelangt. Ihre Mutter Berta Drews schrieb damals in ihr Tagebuch: „Putzi“ – das war Ihr Spitzname – „hat Kummer. Ihm fehlt Arbeit.“ Hat Schimanski Sie damals gerettet?

Nein, ich arbeitete weitgehend durch. Wenn ich einmal einen Monat nichts zu tun hatte, wurde ich unruhig, das musste ich erstmal aushalten lernen. Nachdem ich 1963 das Deutsche Theater in Göttingen verlassen hatte, habe ich immer frei gearbeitet. Schimanski hat mich schon deshalb nicht retten können, weil ich ihn ursprünglich gar nicht spielen wollte.

Als 1980 das Angebot kam, Nachfolger von Hansjörg Felmy als „Tatort“-Kommissar zu werden, war Ihre erste Reaktion: „Um Gottes Willen, das ist ja fürchterlich!“

Ich kannte diese ganzen Trenchcoat-Ermittler, die damals im deutschen Fernsehen vorherrschten. Zum Geldverdienen bin ich in einigen dieser Serien aufgetreten, aber das zum Hauptberuf zu machen, davor graute mir. Als ich dann eine Stunde lang dem Produzenten am Telefon erklärt hatte, was mir an deutschen Krimiserien missfiel und wie man es besser machen könnte, sagte er: ‚Herr George, das ist genau unser Konzept.’ Und vom ersten Schimanski-Drehbuch, das er mir zuschickte, war ich begeistert.

Die Idee, dass der Ruhrpott-Ermittler eine umgefärbte Armeejacke tragen sollte, stammt von Ihnen. Bei den Dreharbeiten haben Sie die wegen ihrer Fäkalsprache umstrittenen Dialoge noch weiter zugespitzt. Wie viel Götz George steckt in Horst Schimanski?

Sehr viel. Die habe ich zu hundert Prozent über mich rübergestülpt, diese Figur. Ich habe mich immer um Radikalität bemüht, eine gewisse Radikalität gehört einfach zu diesem Beruf. Die Figur Schimanski, so wie ich sie mir vorstellte, war von der ersten Folge an fertig. Schimanski war von Anfang an radikal, alles andere als ein Schreibtischhengst.

„Scheiße!“ war das letzte Wort, als sich Schimanski 1991 auf einem Gleitsegler verabschiedete. 1997 kehrte er zurück, seitdem sind 14 weitere Folgen ausgestrahlt, die 15. wird am 20. Juli gesendet. Wie soll er endgültig abtreten?

Still und leise, jedenfalls mit keinem großen Knall. Wenn wir merken, es funktioniert nicht mehr, werden wir aufhören.

Wie werden Sie Ihren 70. Geburtstag am 23. Juli feiern?

Das wird sich ergeben, da habe ich mir noch keenen Kopp gemacht. Ich weiß auch noch gar nicht, wo ich dann sein werde. Am liebsten würde ich arbeiten. Eine Geburtstagsfeier ist mit großer Aufmerksamkeit verbunden und Aufmerksamkeit mag ich überhaupt nicht.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false