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Kultur: Gold ist alles Gefühl

MUSIK

Auch Kent Nagano wird vermutlich manchmal sentimental, denkt an sein Jugend in den wilden Siebzigern und seine kalifornische Heimat – und spielt Musik von Leonard Bernstein. Dessen 1971 geschriebene „Messe“ zum Gedenken an die Ermordung John F. Kennedys liegt genau im Fadenkreuz dieser Erinnerungen. In dem gewaltigen zweistündigen Stilkonglomerat spiegeln sich Aufbruchstimmung und Traditionsbewusstsein, steht Beethoven neben Paul Simon. Ein grandioses Potpurri all dessen, was das musikalische Amerika vor dreißig Jahren ausmachte, eingespannt in einen gewaltigen Bezugsrahmen, der wie eine Broadway-Version der Carmina Burana klingt, und zusammengehalten durch die allumspannende Begeisterung, die als beherrschender Charakterzug alle Werke Bernsteins durchzieht.

Das ist Musik, die nicht verstanden, sondern erfühlt werden will – vom Publikum wie von den Interpreten. Bei der termingerechten Aufführung zum vierzigsten Jahrestag der Kennedy-Ermordung in der Philharmonie kommt die „Sing-and-pray“-Stimmung immer dann auf, wenn Amerikaner am Werk sind: das ausgelassene Pacific Mozart Ensemble mit seinen Rock- und Bluessängern und Jerry Hadley, der mit charismatischer Billy-Graham-Pose den Gottesdienst-Conferencier macht. Die übrigen, das Deutsche Symphonie-Orchester, der Staats- und Domchor und der Rundfunkchor, haben zuviel Brahms in den Knochen und trauen sich nicht recht. Und Nagano? Scheint es zu genießen, einmal Musik zu spielen, die in ihrer schlichten Eindeutigkeit kein großes Kopfzerbrechen verlangt. Denn nächste Woche gibt es wieder Beethoven.

Jörg Königsdorf

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