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Kultur: Gold, Rot, Schwarz

Alles Fluxus: Mary Bauermeister spielt in einer Potsdamer Ausstellung mit deutschen Symbolen.

Angesichts des deutschen Flaggenmeers zur EM kann man leicht vergessen, was die Gründer der Bundesrepublik mit den Nationalfarben ausdrücken wollten. Die 1934 in Frankfurt am Main geborene Künstlerin Mary Bauermeister erinnert daran: „Entstanden aus der Finsternis der Knechtschaft – schwarz – durch blutigen Kampf – rot – ins goldene Licht der Freiheit.“ Dieser Text steht am Anfang der Ausstellung „Zopf ab!“ im Potsdamer Fluxus-Museum. Der Titel ist so provokant wie die Kunst, die mit Geschichtsmythen spielt und sich zugleich für kritische Gegendiskurse starkmacht.

Dabei steht jedoch nicht nur die Fußballbegeisterung in der Kritik, sondern auch der Kult um den 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen. Die Pamphlete, die an den Wänden hängen, lassen keinen Zweifel daran, dass die 1934 in Frankfurt geborene Künstlerin den Hype um das Preußentum tief suspekt findet. Das entspricht ganz dem Geist der Fluxus-Bewegung, die vor 50 Jahren in Deutschland gegründet wurde und seitdem mit der Botschaft durchs Land zieht, dass sich Staatsliebe und kritisches Denken nicht vertragen. Auch jetzt will Mary Baumeister zum Nachdenken anregen, wenn sie um den Potsdamer Museumsraum einen 66 Meter langen Zopf spannt, der aus rot-schwarz-goldenen Fasern geflochten ist und zum Ende hin immer fetter wird. Irgendwann verschwindet der Zopf in ausgedehnter Breite im Boden. Daneben sieht man eine gigantische Schere, die den Zuschauer dazu einlädt, alte Zöpfe abzuschneiden – was, nebenbei gesagt, an eine FDP-Wahlwerbung von anno dunnemals erinnert.

Die Kunst allerdings macht das in aller Schärfe vor: Man sieht ein Werk aus drei zusammengesetzten Metallplatten, die in verkehrter Reihenfolge mit den deutschen Nationalfarben bemalt sind: erst golden, dann rot, dann schwarz. So will Mary Bauermeister daran erinnern, dass die historische Stufe, die Deutschland nach seiner Gründung erreichen wollte, in Wahrheit obenauf liegen müsste und nicht unten – wie ein Ziel, dass man sich in unerreichbarer Höhe gesteckt hat. Fluxus bedeutet aber auch, dass der Besucher keine genauen Erklärungen bekommt. Insofern muss man feinsinnig mitarbeiten, wenn man verstehen will, was die wirr positionierten Kunstwerke im Zusammenspiel bedeuten. Denn sie gehen ineinander über, berühren sich, kommentieren sich gegenseitig, ohne einen festen Rahmen zu bilden.

Dekonstruktion heißt hier Chaos: In der Ecke sieht man ein offenes Klavier, daneben zerstreute Blüten, an der Wand einen gold-schwarz-roten Blitz und zwischendrin einen Flickenteppich, der den wahren Zustand der Nation verkörpert. Außerdem werden Werke aus den sechziger Jahren gezeigt, die – im Kontext der Studentenrevolte entstanden – immer wieder die kritische Haltung der Künstlerin betonen. So etwa die Comiczeichnung „No Fighting on Christmas“ von 1967, die man als martialische und zugleich tief ironische Abrechnung mit dem Apparat der frühen Bundesrepublik deuten kann. Die Politiker und Jesus-Figuren, die auf der Bleistiftzeichnung zu sehen sind, hantieren mit Prügelinstrumenten, während sie wohlfeile Friedensbotschaften skandieren. Ein Zeichen für die Verlogenheit der Eliten? Das könnte auch eine Allegorie auf den heutigen Zustand der Welt sein.

Die Werke changieren zwischen Provokation und Komik, messerscharfer Auseinandersetzung und nahezu dadaistischer Blödelei. Man wird zwar spielerisch mit der Gegenwart konfrontiert, begreift dann allerdings eindeutig, dass nüchterne Distanz produktiver und reflexionsreicher ist als fraglos glücklich machende Ekstase – die Siege der Fußball-Nationalmannschaft hin oder her. So viel ist sicher: Wer Mary Bauermeisters „Zopf ab!“ sieht, sieht dann auch den Begriff der Nation mit anderen Augen. Insofern ist Fluxus aktueller und notwendiger denn je.

Fluxus+, Potsdam, Schiffbauergasse 4f.

Bis 19. August. Mi bis So 13-18 Uhr

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