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Kultur: Golden glänzt der Tischfußball

Das Art Forum, Berlins Messe für Gegenwartskunst, zeigt weniger Fotografie und einen neuen Trend zur Malerei

Von Katrin Wittneven

Die ersten Flaneure sind unterwegs. Scheinbar ziellos schlendern sie durch die Flure. Am ersten Tag werden die meisten Käufe getätigt, das wissen Händler und Sammler. Wo eben noch geschäftiges Vorbereiten dominierte, bestimmen schon gegen Mittag die geschäftlichen Verhandlungen die Szenerie. Kaum ein Galerist mehr ohne Telefon am Ohr, erste rote Punkte werden als Zeichen des Verkaufes neben die ausgestellten Arbeiten geklebt. Im Laufe des Nachmittags wird es immer voller, bis sich am Abend fast 9000 Gäste der Vernissage in den Gängen drängen. Doch da ist das überraschend gute Hauptgeschäft des Eröffnungstages längst vorüber.

Für den Berliner Galeristen Anselm Dreher hat sich der erste Tag gelohnt. Waren beim Transport noch drei farbige Neonröhren der kreisförmigen Wandarbeit von John M Armleder zerbrochen, sorgte ein Glasbläser über Nacht für Ersatz. Pünktlich um elf Uhr konnte Dreher das Licht der drei Meter Durchschnitt messenden Neonarbeit anschalten. Und am frühen Nachmittag hatte ein deutscher Privatsammler die Lichtinstallation für 35000 Euro gekauft. Gleich fünf Interessenten gab es bereits kurz nach der Eröffnung für Neo Rauchs Gemälde „Dämmer“ bei der Berliner Galerie Eigen + Art, das stolze 75000 Euro kostet. Den Zuschlag erhielt am Ende der Privatsammler, der es als erster reserviert hatte.

Champagnerkorken knallten auch bei der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts, die alle drei ausgestellten Großformate von Daniel Richter verkaufte. Auch für die psychedelischen Gemälde, die abstrakte Ornte wie reale Elemente zu zeitgenössischen Historienbildern vereinen, gibt es inzwischen Wartelisten. Den Zuschlag am Eröffnungstag bekamen für jeweils 60 000 Euro die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen „K21“ und zwei Privatsammler, von denen einer das Bild als Dauerleihgabe an ein ostdeutsches Museum vermitteln wird. Die Erfolgskurve von Richter, der in diesem Jahr auch für den „Preis für junge Kunst der Freunde der Nationalgalerie“ nominiert war, gibt einen Eindruck von den Steigerungsraten, die im Kunsthandel möglich sind. Noch vor fünf Jahren kosteten seine Bilder 30000 Mark – ein Viertel der heutigen Preise.

Um solche Gewinnspannen zu erzielen, muss man frühzeitig auf junge Künstler setzen und ihre Arbeiten zu Beginn der Karriere kaufen. Gerade auf dem Art Forum, wo in den letzten Jahren vor allem im unteren und mittleren Marktsegment Umsatz gemacht wurde, konzentrieren sich viele der 154 Aussteller auf den Nachwuchs. Der Galerist Christian Nagel gehört dazu, der Ausstellungsräume in Berlin und Köln hat und neben dem Art Forum auch an der in vier Wochen beginnenden Art Cologne teilnimmt. Gerade weil die beiden wichtigsten deutschen Kunstmessen zeitlich so nah zusammengerückt sind, müssten die Unterschiede zwischen den Messen klarer werden, betont Nagel. In Köln Kunst von der Klassischen Moderne bis heute, in Berlin die Gegenwart. Dass Nagel fünf Maler zeigt, entspricht dem Trend der diesjährigen Messe, auf der weniger Fotografie als in den letzten Jahren und mehr Malerei zu sehen ist. Dem internationalen Ausstellungsgeschehen entprechend gibt es deutlich mehr Videopräsentationen.

In dem Überangebot mit Arbeiten von rund 1200 Künstlern fallen zunächst nur bereits bekannte oder sehr dominante Arbeiten auf. Die sakrale Stimmung des Gemeinschaftsstands der New Yorker Galerie Friedrich Petzel mit den Berlinern neugerriemschneider etwa. Fast überinszeniert wirken die roten Lampen von Jorge Pardo über Gemälden von Michel Majerus und einer Gitterskulptur von Olafur Eliasson. Poppig ist dagegen die Solo-Show des jungen Schweizer Künstlerduos Sabina Lang und Daniel Baumann, die für den Stand der Galerie Urs Meile aus Luzern ein Gesamtkonzept entwarfen, zu dem ein gold-glänzendes Tischfußballspiel gehört. Die Kunst wird zum Goldenen Kalb mit Spaßfaktor.

Auf solche Einzelpositionen setzen in diesem Jahr nur wenige Galerien. Vor allem die Berliner wie Schipper & Krome mit dem Archivar-Artisten Christoph Keller oder Martin Klosterfelde mit Wandarbeiten von Stefan Hirsig leisten sich diesen Luxus, können sie mit interessierten Sammlern doch auch direkt in ihre Galerie fahren. Viele andere Aussteller verlassen sich dagegen auf die marktwirtschaftlich rentableren kleinteiligen Präsentationen ihres gesamten Galerieprogramms. Hingucker sind dabei immer Arbeiten, die bereits in großen Ausstellungen aufgefallen sind. Documenta-Teilnehmer wie der Schweizer Thomas Hirschhorn, der am Eröffnungstag bei Arndt & Partner eine Installation zeigt oder der in Benin geborene Meschac Gaba, dessen Bodenarbeit bei Lumen Travo aus Amsterdam ökonomische Fragestellungen aufgreift. Auf der Manifesta in Frankfurt überzeugte bereits Pierre Bismuths neu synchronisiertes Video vom Disney-Klassiker „Das Dschungelbuch“, in dem jedes Tier in einer anderen Sprache spricht, das am Gemeinschaftsstand der Galerien Schulte und Lisson zu sehen ist. Zu den Entdeckungen gehören hier aber viel ältere Arbeiten: In einem kleinen Kabinett zeigt Thomas Schulte Polaroids von Robert Mapplethorpe, die Anfang der siebziger Jahre entstanden sind. Die puristischen Bilder zeigen intime Momente mit noch wenig professionellen Modellen oder Freunden wie der Sängerin Patti Smith. Aus dieser Zeit stammt auch die zehnteilige berühmte Fotoserie „Tulsa“ von dem Filmemacher und Fotografen Larry Clark, die den Alltag von drogenabhängigen Jugendlichen dokumentiert und bei der Münchner Galerie Pfefferle zu sehen ist. Bei einer Messe, die so konsequent die Kunst der letzten Jahre fokussiert, wie das Art Forum, werden diese dreißig Jahre alten Arbeiten zu sinnstiftenden Gegengewichten.

Das Gesamtbild der Messe hat sich in ihrem siebten Jahr weiter verschoben. Der Anteil der großen, international erfolgreichen Galerien ist kleiner geworden. Gegenüber der teilweise recht unausgegorenen jüngsten Kunst in manchen „Project Spaces“ erscheinen die kühle Eleganz und Qualität von Top-Galerien wie Johnen + Schöttle oder der Zürcher Galerie Mai 36 angenehm museal.

Gerade dieses weite Spektrum innerhalb der Gegenwartskunst macht die Messe als Kontaktbörse interessant. Beispiel Osteuropa: Die in diesem Jahr in den Fokus gerückten Galerien wirken zwar größtenteils immer noch als Fremdkörper, aber ein Gemeinschaftsstand wie der von Paula Böttcher (Berlin), Knoll (Budapest/Wien) und Priestor (Bratislava) weckt mit den Künstlern AES oder Orit Raff Neugier auf diese Szene. Auch die mit 39 teilnehmenden Galerien große Präsenz von Berlin gibt dem Art Forum Profil und zeigt sein Potenzial. Wie heißt es auf einem Gemälde von Anne Berning bei der Galerie Kuckei + Kuckei? „Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will. Alles verschwindet.“

Art Forum Berlin, Messegelände Berlin, Hallen 21-23, Eingang Halle 21 (Masurenallee), bis 30. September, 12-20 Uhr, 30. September bis 18 Uhr, Tageskarte 12 Euro, Abendkarte ab 17 Uhr 8 Euro.

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