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Kultur: Goldene Freiheit

Theater hinter Gittern: „AufBruch“ spielt Koltès in der JVA Tegel

Aus Protest den Saal verlassen, das funktioniert nicht bei diesem Theater – zwischen Sitz und Ausgang liegen Betonmauern, Stacheldrahtzäune und bewaffnete Wächter. Geschlossenen Vollzug nennt man das im Beamtenjargon, Alltag in der JVA Tegel, Deutschlands größtem Männergefängnis. Aber heute ist alles ein bisschen anders: Besuch ist da, von draußen, neugierige Gäste, die sich gruseln wollen und dafür bereitwillig ihre Taschen leeren und den Gang durch die düstere Sicherheitsschleuse in Kauf nehmen. Theater im Knast, Knast als Theater.

„Wenn Sie zu dieser Stunde und an diesem Ort unterwegs sind, dann darum, weil Sie etwas wünschen, was Sie nicht haben.“ Die inszenierten Fragmente aus Bernard-Marie Koltès’ Stück „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ spielen klug mit dem Spannungsfeld zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Insassen und Publikum. Zwei Männergruppen stehen sich da auf der Bühne feindselig gegenüber, aber man merkt schnell, dass die Fronten eigentlich ganz woanders verlaufen. „Sie werden bezahlen und Ihre Taschen leeren müssen, damit niemand niemandem etwas schuldet.“

„AufBruch“, das Gefangenenensemble der JVA Tegel, setzt nicht auf Betroffenheitskitsch. Ein Regie-Team „von draußen“ arbeitet seit 1997 mit 25 Insassen zusammen, darunter Ex–Fassbinder-Darsteller Günther Kaufmann, der in Tegel wegen Totschlags einsitzt. Nicht um Resozialisierung geht es bei „AufBruch“, sondern um eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem Gefängnis als Ort außerhalb der Gesellschaft. Wie konsequent das durchdacht ist, merkt man an Details wie der Anzeige auf der Rückseite des Programmhefts: ein „Outdoor“-Fachhandel wirbt da. Garantiert kein Zufall.

Nach dem Stück gelöste Stimmung, Insassen plaudern mit Besucherinnen. „Wer war denn nun eigentlich der Mörder?“, flüstert ein Gast seiner jungen Begleiterin ins Ohr. Frivoles Gekicher. Für eine halbe Stunde existiert die Illusion einer Identität zwischen Draußen und Drinnen. Der Schockeffekt ereignet sich erst beim Verlassen des Theaters, wenn man plötzlich begreift: Wer hier so einfach rausspazieren darf, der ist eigentlich nie richtig drin gewesen. Darauf sollte man erst mal einen trinken – am besten gleich gegenüber, in der Eckkneipe „Zur Goldenen Freiheit“.

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