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Gonçalo M. Tavares.

© Teresa Sá/DVA

Gonçalo M. Tavares' Roman „Joseph Walsers Maschine“: Die Liebe zum Metall

Energetiker des Düsteren: Der Roman „Joseph Walsers Maschine“ ist das zweite Buch aus Gonçalo M. Tavares' Romantetralogie „El Reino“ und besticht durch seine schneidende Kälte.

Joseph Walser, das ist ein merkwürdig altmodischer Name für eine Romanfigur aus dem 21. Jahrhundert – irgendwo zwischen Joseph Roth und Robert Walser. Der Maschinist Joseph Walser, ein stiller Mann mit altmodischen Schuhen, arbeitet in einer nicht näher beschriebenen, rein metaphorisch gemeinten Fabrik in einer namenlosen Großstadt. Er bedient eine der gefährlichsten Maschinen des Unternehmens. Schon die kleinste Unachtsamkeit könnte ihn körperlich versehren. Walser liebt seine Maschine. Ihre Betriebstemperatur vergleicht er mit seiner Körperwärme, ihr Brummen mit seinem Herzschlag.

Privat sammelt er scheinbar nutzlose Metallteile, und das weitaus leidenschaftlicher, als er seine Frau liebt. Metall ist für ihn „die dichte, mit dem Leben nicht vereinbare Materie“. Das seltsam verkapselte Leben des Joseph Walser erfährt zwei Erschütterungen. Zum einen entdeckt er, dass seine Frau ein Verhältnis mit seinem Vorarbeiter hat. Dieser hört auf den Namen Klober Müller. Zum anderen befindet sich Walsers anonymes Heimatland im Kriegszustand. Überall bemerkt er „aggressives Misstrauen“ sowie eine faschistoide „Faszination für große Waffen und starke Herrschaft“. Doch der Schriftsteller reflektiert damit weniger die jahrzehntelange Diktatur in Portugal, die 1974 von der Nelkenrevolution überwunden wurde, ihm geht es um die Gewalttätigkeit des Menschen schlechthin.

Zwischen Franz Kafka, Witold Gombrowicz und den Marx Brothers

„Joseph Walsers Maschine“ ist das zweite Buch aus Tavares’ Romantetralogie „El Reino“ (Das Königreich). Vor zwei Jahren war bereits Teil drei mit dem Titel „Die Versehrten“ erschienen, ebenfalls in der kristallinen Übersetzung von Marianne Gareis, die dieser strengen Prosa angemessen ist. „Die Versehrten“ lässt sich als eine atheistische Heilsgeschichte verstehen, worauf auch der Originaltitel „Jerusalem“ hindeutet. In diesem Buch führt der Autor vier einsame, verzweifelte Menschen, darunter den Kriegsinvaliden Hinnerk Obst, in einem existenzialistischen Nocturne zusammen; am Ende steht ein Mord. Nun taucht Hinnerk Obst auf, als sich der Metallfetischist Joseph Walser auf offener Straße an einem Kriegsopfer zu schaffen macht. Obst hilft ihm, dem Toten die Gürtelschnalle zu stehlen – eine Rarität für die Metallsammlung.

Solche makabren Details verdeutlichen, dass in Gonçalo M. Tavares’ Romankosmos schneidende Kälte herrscht. Irgendwo zwischen Franz Kafka, Witold Gombrowicz und den Marx Brothers wagt Tavares mit seiner Tetralogie ein literarisches Fazit des 20. Jahrhunderts und dessen exorbitanter Gewalttaten. Diese setzen sich in den psychischen Blessuren der Nachgeborenen fort: „Ebenso wie bei der Verwaltung eines Landes gründete in Kriegszeiten quasi jeder Mensch ganz individuell ein Ministerium der Normalität, das im Wesentlichen Wiederholungen vorschrieb. Denn nur Wiederholungen beruhigten, nur Wiederholungen erlaubten dem Einzelnen, sich auch am nächsten Tag noch als Mensch wiederzufinden.“

Tavares geht es um einen möglichst düsteren Widerhall aller Diktaturen, die Europa im 20. Jahrhundert erlitten hat. So ist auch der Kontext des Buches, das jäh von Komik zu Grauen und wieder zurückschaltet, ein überzeitlicher und überörtlicher. Nur in Mitteleuropa lässt sich lokalisieren, wovon die Namen zeugen.

Mit düsterer Energie zum fatalistischen Ende

Woher aber kommt seine Vorliebe für deutsche beziehungsweise nordische Namen wie Joseph Walser, Ernst Spengler oder Hinnerk Obst? „Das soll bewirken, dass der Erzähler eine gewisse Distanz zu seinen Figuren erhält“, hat Tavares einmal erklärt: „Dadurch, dass er Namen wählt, die von seiner Kultur so entfernt sind, will er die Figuren auch weniger subjektiv beschreiben. Er will sie eher wissenschaftlich behandeln, chemisch. Auf jeden Fall handelt es sich um eine mitteleuropäische Welt.“ Auf Deutungen will sich Gonçalo Manuel Tavares aber keinesfalls festlegen. 1970 in Angola geboren, unterrichtet er an der Universität von Lissabon Erkenntnistheorie, was seine Texte zutiefst prägt. Seit seinem Debüt „Die Reise nach Indien“ 2001 gilt er als einer der bedeutendsten jüngeren Schriftsteller seines Landes.

Die Liebe zum Metall wird Joseph Walser zum Verhängnis. Erst kostet sie ihn durch einen Unfall am Arbeitsplatz den Zeigefinger der rechten Hand, dann kommt eine Pistole ins Spiel. Doch durch die Trennung von seiner Maschine fühlt sich Walser ohnehin vom Leben amputiert. Wie eine gespaltene Persönlichkeit beobachtet er sich selbst beim Ehebruch mit der Witwe eines hingerichteten angeblichen Landesverräters, den er regelmäßig zum Würfelspiel getroffen hatte. Ihn vor der drohenden Verhaftung zu warnen, hätte die psychische Mechanik des Protagonisten offenbar überfordert.

So steuert der Roman mit unvergleichlich düsterer Energie auf sein fatalistisches Ende zu. Sein Autor, dessen Werk bereits in dreißig Sprachen übersetzt wurde, lohnt auch hierzulande die Entdeckung.

Gonçalo M. Tavares: Joseph Walsers Maschine. Roman. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014. 176 Seiten, 19,99 €.

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