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Haudrauf-Komik des Grand-Guignol-Theaters und das Statuarische der chinesischen Oper: "Gone With The Bullets".

© Beijing Buyilehu Film & Culture Co., Limited

"Gone With The Bullets" auf der Berlinale: Locker leben in Schanghai

Jiang Wens „Gone With The Bullets“ vereint hochgradig physische, das Groteske mit dem Melodramatischen und dem Grausigen mischende Komik. In opulenten Dekors wird mit Lust an der Übertreibung virtuos chargiert.

Von Gregor Dotzauer

Eine quietschbunte Fantasie über „Yan Ruisheng“, Chinas seit Jahrzehnten verschollenen, ersten abendfüllenden Tonfilm aus dem Jahr 1921. Die jüngste Reimagination eines seinerzeit dutzendfach fiktionalisierten Mordes an einer Edelkurtisane, der die junge Republik in den Nachwehen der letzten kaiserlichen Dynastie in den 20er Jahren wohlig erschauern ließ. Eine Farce über ein zwischen hedonistischer Enthemmung und politischer Kontrolle schillerndes Schanghai, in dem sich der Turbokapitalismus der Gegenwart spiegelt.

Es gibt wenig, was auf den reich gestaffelten Metaebenen von Jiang Wens „Gone With The Bullets“ (Yi bu zhi yao), dem Mittelteil einer Trilogie historischer Actionkomödien, nicht immer neue Durchblicke eröffnen würde. Und es gibt noch weniger, was er als Regisseur und Hauptdarsteller nicht ästhetisch zusammenrumpeln lassen würde. Die Haudrauf-Komik des Grand-Guignol-Theaters und das Statuarische der chinesischen Oper. Italienisches Belcanto und George Gershwins „Summertime“, das hier – mit Ansage – erklingt, bevor es überhaupt komponiert wurde. Die Revuetraumwelt französischer Cabarets und der filmdokumentarische Anspruch der Gebrüder Lumière. All das vereint seine hochgradig physische, das Groteske mit dem Melodramatischen und dem Grausigen mischende Komik, die sich in ihrer radikalen Künstlichkeit auch noch das Unwahrscheinlichste herausnehmen kann.

Shu Qi wird "Präsidentin der Escort-Nation"

Aus westlicher Sicht war Jiang Wen schon immer ein wilder Eklektiker. Aber was in „Devils On The Doorstep“, seiner tiefschwarzen Komödie über die chinesisch-japanischen Kämpfe im Schatten des Zweiten Weltkriegs, die 2000 in Cannes den Großen Preis erhielt, noch ein Ton war, der den sekundenschnellen Umschlag vom Lustigen zum Brutalen nach chinesischen Maßstäben noch ganz natürlich bewältigte, das wird hier im vollen Hauruck-Bewusstsein zugespitzt.

Jiang spielt Ma Zouri, einen Hochstapler adliger Herkunft, der zusammen mit seinem Kindheitsfreund Xiang Feitian (Ge You) in Schanghai einen Schönheitswettbewerb unter Frauen aus 70 Ländern veranstaltet. Zu gewinnen ist der Titel „Präsidentin der Escort-Nation“, was reichlich offenherzig darauf verweist, dass es sich um Prostituierte handelt. Weil es nach Ma Zouris krummen Gesetzen zugeht, siegt seine Geliebte Wanyan Ying (Shu Qi), die in ihrem Übermut nur den lästigen Anspruch erhebt, künftig als Ehefrau ihres Herrn und Meisters aufzutreten. Bei einer Autofahrt verunglücken sie im Opiumrausch, und während sie ums Leben kommt, sieht man ihn im roten Wagen auf einen Riesenmond zutreiben, der über Schanghai hinwegrollt. Von nun an gilt er als Mörder, und Xiang Feitian macht sich daran, der Öffentlichkeit zu versprechen, Ma Zouri dingfest zu machen. Eine Jagd beginnt, in deren Verlauf der vermeintliche Mörder schließlich sogar an der Verfilmung des eigenen Schicksals mitwirkt, bevor ihn Wu Six (Jiangs Frau Zhou Yun), die in ihn verliebte Tochter des Generals Wu, aus seiner Bedrängnis zu befreien versucht.

In opulenten Dekors wird mit Lust an der Übertreibung virtuos chargiert, und tatsächlich entsteht so, am anderen Ende der neorealistischen, aufs Analytische zielenden Filme von Jia Zhangke, ein aktuelles Stimmungsbild. Ansonsten wird in „Gone With The Bullets“ erstaunlich frech und unverblümt von Sex gesprochen – vielleicht, weil davon immer noch offener die Rede sein kann als von einem Konkubinenwesen, das die Eliten nur in die Sonderwirtschaftszonen ausgelagert haben.

12.2., 14.30 und 21 Uhr (Friedrichstadtpalast), 21.30 Uhr (Haus der Festspiele)

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