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Kultur: Good bye, BRD

An ostdeutschen Lagerfeuern soll man sich zu Zeitvertreib und Erbauung gelegentlich eine Legende erzählen. Ihr Titel: „Wenn es andersherum gekommen wäre“.

An ostdeutschen Lagerfeuern soll man sich zu Zeitvertreib und Erbauung gelegentlich eine Legende erzählen. Ihr Titel: „Wenn es andersherum gekommen wäre“. Ja, wenn es damals andersherum gekommen wäre, dann hätte die Regierung der siegreichen DDR ein Aufbau-West-Programm aufgelegt. Dann müsste sich der FC Bayern München müsste sich in der Fußball-Oberliga gegen Fortschritt Bischofswerda durchsetzen.

Die Idee, die putzige Legende zum Roman zu machen, ist naheliegend. Jörg-Uwe Albig hat sie umgesetzt – und zwar ohne ins Genre der klamaukigen Gesellschaftssatire abzurutschen. In seinem „Land voller Liebe“ (Tropen) finden die Montagsdemos nicht in Leipzig, sondern in München und Stuttgart statt. Die Bundesrepublik implodiert und Albigs Protagonist, ein 29-jähriger Unternehmensberater, muss sich fragen, ob in seinem Land denn wirklich alles schlecht war. Ein knallharter Sanierer wie er, die Verkörperung kapitalistischer Effizienz, wird nicht mehr gebraucht. Im Herbst 1989 ist er in der Karibik engagiert und betrachtet den westdeutschen Zusammenbruch aus der Distanz. Alle Ostdeutschen mussten 1989 ihr Leben ändern – oder konnten es endlich. Albig versucht in einem seltenen Akt von Empathie zu zeigen, was es für einen Westdeutschen bedeuten kann, wenn seiner Biografie ihre Legitimation entzogen wird. Ganz so abwegig ist die Sache nicht, schließlich ging 1989 auch die alte Bundesrepublik zu Ende.Albigs stellt sein Buch am 14.12. (20.30 Uhr) im Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1) vor.

Wenn damals alles anders gekommen wäre, dann gäbe es einige deutsche Erfolgsfilme wie „Good bye, Lenin!“ oder „Das Leben der Anderen“ nicht und auch die Wendeliteratur sähe anders aus. Fehlen würde etwa Volker Braun s kanonisch gewordenes DDR-Nachruf-Gedicht „Das Eigentum“. Und Braun würde kaum am 14.12. (20 Uhr) im Haus der Demokratie und Menschenrechte (Greifswalder Str. 4) aus seinem Gedichtband „Auf die schönen Possen“ (Suhrkamp) lesen.

Wenn damals alles anders gekommen wäre, dann würde im Literarischen Colloquium (Am Sandwerder 5, Zehlendorf) heute vielleicht der Schriftstellerverband der DDR residieren. Fraglich wäre, ob es das traditionelle Autorentreffen Tunnel über die Spree gäbe, zu dem am 15.12. (20 Uhr) neben Jörg-Uwe Albig auch Marica Bodrozic, Michael Ebmeyer, Julia Franck, Christina Griebel, David Wagner u.a. an den Wannsee kommen. Thema der letzten LCB-Veranstaltung des Jahres ist „Berlin im Text“. Das klingt ungewöhnlich in Zeiten, in denen der erfolgreiche deutsche Roman nach Südamerika (Kehlmann), Indien (Trojanow), die USA (Hettche) oder London (Hacker) emigriert. Wahrscheinlich formiert sich am LCB die Avantgarde von morgen. Auch das wäre schwer vorstellbar, wenn Hermann Kant als Präsident des Schriftstellerverbandes Chef des Hauses wäre. Ein Glück nur, dass damals nicht alles anders gekommen ist.

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