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Stefan Simon (links), Direktor des Rathgen-Forschungslabors, Friederike Gräfin von Brühl (2. v.l.), Knut Kreuch, Oberbürgermeister von Gotha (Thüringen) (3.v.l.)

© dpa / Bernd von Jutrczenka

Spektakuläres Ende des Gothaer Kunstraubes: Der Trick, um fünf millionenschwere Gemälde zurückzuholen

1979 verschwanden fünf Gemälde alter Meister aus Gotha. Mit einem gewieften Manöver bekam das Museum sie zurück, ohne Lösegeld zu zahlen.

Von Jonas Bickelmann

Um Gothas 1979 gestohlene Kunstschätze zurückzuholen, brauchte es einen diplomatisch begabten Bürgermeister, eine kluge Anwältin und einen gewieften Plan. Der ging vor dreieinhalb Monaten auf. Am 30. September 2019 übergaben zwei Männer in einer nächtlichen Aktion in Berlin fünf Pakete. Gothas Bürgermeister Knut Kreuch erinnert sich genau an seinen Coup, an die Noppenfolie, in der die Objekte verpackt waren.

Jetzt sieht die Öffentlichkeit zum ersten Mal seit vierzig Jahren, was sich in den Paketen verbarg. Der Vorhang im historischen Magnus-Haus gegenüber der Museumsinsel öffnet sich, die Anwesenden applaudieren. Auf der Bühne stehen fünf Gemälde alter Meister auf Staffeleien. Alle stammen aus dem 16. oder 17. Jahrhundert; es sind Werke von so berühmten Künstlern wie Hans Holbein dem Älteren oder Frans Hals.

Der Sammlerwert wird auf vier Millionen Euro geschätzt. Auf dem freien Markt würden die Kunstwerke gewiss ein Vielfaches erzielen. Wenn sie denn verkäuflich wären. Handelt es sich doch um die Beute eines der spektakulärsten Kunstdiebstähle des zwanzigsten Jahrhunderts.

Da ist die Heilige Katarina von Holbein, entstanden um 1510. Das kleine Gemälde zeigt eine Frau im Dreiviertelporträt. Der Hintergrund ist einfarbig dunkel, sodass Katarina und ihr mit Goldborte verziertes Kleid umso heller strahlen. Das Gemälde ist stilistisch innovativ, denn noch im 15. Jahrhundert wurden Heilige oft mit Nimbus über dem Kopf und auf Goldgrund dargestellt. Hier verweist nur noch das Rad in Katarinas Händen auf die Marter der Frau.

Ein zweites Gemälde wurde Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha wohl als echter Rembrandt verkauft. Das neue Gutachten schreibt es hingegen Ferdinand Bol (1616-1680) zu, einem Schüler. Zur Zeit des Diebstahls gingen Gutachter noch von einem anderen Rembrandt-Schüler, Jan Lievens, als Urheber aus. Zu sehen ist ein Greis mit ernstem Blick und langem Bart. Es handelt sich nicht um das Porträt einer konkreten Person. Der Abgebildete steht idealtypisch für das Altern.

Knut Kreuch war überwältigt, als er die Pakete am 30. September öffnete und tatsächlich die lange verschollenen Gemälde zum Vorschein kamen. Damals war noch nicht gewiss, dass es wirklich die am 14. Dezember 1979 gestohlenen Bilder sind.

Die Heilige Katarina von Hans Holbein d. Ä.
Die Heilige Katarina von Hans Holbein d. Ä.

© Stiftung Schloss Friedenstein

Ein Plan geht auf

Nun verkündet Stefan Simon vom Berliner Rathgen-Forschungslabor, dass es sich eindeutig um die Originale handele. In seinem Institut wurde das Muster feiner Risse im Malgrund, das sogenannten Krakelee, mit alten Aufnahmen der Gemälde verglichen. Es stimmt exakt überein, wie Simon mit dem Abgleich alter und der neuen Aufnahmen demonstriert.

Ob der Kunstfälscher Beltracchi das nicht auch hinbekommen hätte, fragt ein Reporter. „Das Krakelee schon. Aber nicht entlang der Linien“, sagt Stefan Simon.

Simons Berliner Labor steht im Mittelpunkt des ausgekochten Planes, mit dem Kreuch und die Anwältin Friedrike Gräfin von Brühl sich die Bilder zurückholten. Das Problem: Obwohl es sich beim Gothaer Museum Schloss Friedenstein um die Eigentümer der Kunstwerke handelt, gab es juristisch keine Möglichkeit, an die Bilder zu gelangen.

Zwar waren die Anbieter, eine Familie aus Westdeutschland, über einen Anwalt im Sommer 2018 an Knut Kreuch herangetreten, um über die Rückgabe der Bilder zu verhandeln. Jedoch hätten die rechtmäßigen Eigentümer sie nicht zur Herausgabe zwingen können. Es handelte sich zwar um einen Diebstahl, aber da mehr als dreißig Jahre vergangen waren, war er verjährt. Die Anbieter forderten einen hohen Millionenbetrag für die Rückgabe.

Selbstbildnis mit Sonnenblume eines unbekannten Künstlers nach Anthonis van Dyck
Selbstbildnis mit Sonnenblume eines unbekannten Künstlers nach Anthonis van Dyck

© Stiftung Schloss Friedenstein

Um das juristische Problem zu umgehen, mussten die Gothaer die Anbieter zur freiwilligen Herausgabe bewegen. Hier kommt das Rathgen-Forschungslabor ins Spiel. Kreuch forderte, dass die Bilder in diesem Labor auf Echtheit geprüft werden müssen. Tatsächlich ließen die Anbieter sich darauf ein. Es kam zur nächtlichen Übergabe in Berlin.

Das LKA war informiert

Natürlich ist die Frage, wieso die Anbieter bei dem Manöver mitspielten. Anwältin von Brühl führt das auf Knut Kreuchs Verhandlungsgeschick zurück. Das Hin und Her zog sich lange hin. Geld und fachliche Beratung kamen von der Ernst von Siemens-Kunststiftung.

Am Abend der Übergabe war auch das Berliner Landeskriminalamt vor Ort. Nur so kamen die Ermittler an die Identität eines Arztes aus Ostfriesland, der die Bilder übergab. Er und seine Geschwister waren bis dahin nur über den Anwalt aufgetreten.

Der Mediziner und seine Geschwister hatten die Bilder von ihren Eltern geerbt. Ein Hutträger von Frans Hals habe zuletzt das Esszimmer einer Privatwohnung geziert, es fänden sich sogar Farbspuren vom Streichen der Raufasertapete darauf.

Wo waren die Gemälde bis 2018?

Allerdings ist bis heute völlig unbekannt, wo sich die Gemälde zwischen 1979 und 2018 befanden. Die Anbieter hatten zunächst eine abenteuerliche Geschichte geschildert, derzufolge die Kunstwerke als Pfand in einer filmreifen Episode aus Teilunsgzeiten gedient hätten.

Die Eltern des Arztes hätten sie im Gegenzug für eine Million DM Lösegeld erhalten, mit dem sie ein befreundetes ostdeutsches Paar von der DDR hatten freikaufen wollen. Ermittlungen des LKA haben dies als Lüge entlarvt. Strafrechtliche Ermittlungen laufen. Die Gemälde gelangten erst in den 80er Jahren in einem privaten Transport in den Westen.

Ab Montag werden die fünf Schätze wieder ins Gothaer Schloss Friedenstein zurückkehren und dort eine Woche lang zu sehen sein. Dann werden sie restauriert. In Anbetracht der abenteuerlichen Umstände ist der Zustand der Gemälde erstaunlich gut.

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