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Kultur: Gott ist Kot

Ungeniert: Florian Werners „Geschichte der Scheiße“

Gleich vornweg: Wenn der Berliner Autor Florian Werner in seiner originellen, fundierten und vergnüglich zu lesenden Studie regelmäßig und ungeniert das Wort „Scheiße“ verwendet, so ist das kein umgangssprachlicher Ausrutscher. Werner, Jahrgang 1971, führt in seinem Sachbuch „Dunkle Materie“ den Begriff als vergleichsweise wertneutral ein, als Alternative zu moralisch-abfälligen oder medizinisch-distanzierten Vokabeln. „Scheiße“, so lernt der Leser, teilt sich im Übrigen eine etymologische Wurzel mit „Ausscheidung“.

Aber warum das Thema? Sensationalismus? Werners Buch ist alles andere als zotig, auch wenn der Literaturwissenschaftler sich deftiger Quellen von Luther bis Swift bedient. „Wohl kaum eine Materie wird so konsequent verdrängt wie jene, welche tagtäglich unserem Innersten entspringt“, schreibt Werner. In einer Stadt wie Berlin fallen täglich 800 Tonnen Kot an, Scheiße gehört zum Leben – und wird totgeschwiegen.

In zwölf blitzgescheiten Kapiteln untersucht der Autor die Wurzeln fäkalischen Humors ebenso wie die Verschärfung von Hygieneregeln parallel zur Entwicklung der modernen Gesellschaft. Er beleuchtet das Verhältnis der Scheiße zu Kunst oder Geld – „großes Geschäft“ ist ja eine doppeldeutige Wendung. Auch Freud spielt eine Rolle. Kot wird historisch als beliebtes Kosmetikum sowie – anhand der „Dreck-Apotheke“ aus dem 18. Jahrhundert – als Allheilmittel vorgestellt. Der Abschnitt „Gott ist Kot“ behandelt das Verhältnis zur Religion: Benutzte Jesus einen Nachttopf? Können Exkremente zu Reliquien werden? Sie können. Ein im besten Sinne aufklärerisches Buch.Jan Oberländer

Buchpremiere am heutigen Donnerstag um 20 Uhr, Backfabrik Clinker Lounge, Saarbrücker Str. 36-38, Prenzlauer Berg

Florian Werner: Dunkle Materie.

Die Geschichte der Scheiße.

Nagel & Kimche,

Zürich 2011.

240 Seiten, 22 Abbildungen, 18,90 €

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