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Kultur: Gott schweigt. Der kleine Mann summt

Johan Simons inszeniert „Hiob“ nach Joseph Roth an den Münchner Kammerspielen

Der Jude Mendel Singer, dessen Schicksal Joseph Roth in „Hiob. Roman eines einfachen Mannes“ erzählt, scheint am Ende alles verloren zu haben: Er sitzt fest in Amerika, wo er doch aus Zuchnow stammt. Seine Frau ist tot, der eine Sohn gefallen, der andere wird vermisst, die Tochter ist wahnsinnig geworden und den unzurechnungsfähigen Epileptiker Menuchim haben sie gleich in Europa gelassen. Was Mendel Singer noch hätte, wäre sein Gott, auf den er sein Leben lang sozusagen blind vertraut hat, aber Gott gibt Mendel, der nun wahrlich ein Recht auf die Frage „Warum?“ geltend machen könnte, keine Antwort mehr.

Gott schweigt. Und da summt der kleine Mann aus dem Nichts eine Melodie, sie sei, sagt Mendel Singer, überaus wundersam, weil die ganze Welt da in ein paar Tönen aufscheine, und wie könne das sein?

Der niederländische Regisseur Johan Simons, auf dem Theater der Menschenfreundlichsten einer, lässt den wunderbaren Schauspieler André Jung als Mendel in der für die Bühne eingerichteten Fassung der Münchner Kammerspiele während dieser Szene traumverloren mit den Augen hinter seiner dicken Brille blinzeln und immer wieder eine Schallplatte halb hilflos mit dem Finger andrehen. Er macht ihn also noch kleiner, als er ohnehin schon ist, auch weil Joseph Roth sich im selben Moment so groß macht. Roth nämlich spielt augenblicklich Gott, weil er nämlich Menuchim (Sylvana Krappatsch) hereinschickt, den denkbar verlorensten aller verlorenen Söhne, der diese Melodie geschrieben hat und seinem Vater nachgereist ist, nunmehr gesund und erfolgreich – ein großer Komponist.

Es ist eine märchenhafte Szene, die unter anderem beweisen muss, wie’s der Regisseur generell mit der Welt auf dem Theater hält: ob er sie in den Schwitzkasten nimmt oder lustig auslässt, ob er sie hoch nimmt oder ihr Stand hält. Johan Simons nun tritt ihr freundlich grübelnd gegenüber, wie immer, seit er in München inszeniert – vorzugsweise Romane. Er ist kein Lautsprecher, aber er duckt sich auch nie weg, und am liebsten schafft er aus Prosa reine Poesie. Abschließend gehen im Zuschauerraum ein paar Glühbirnen an, die an einer langen Kette von der Decke der Kammerspiele baumeln, als seien sie die Ergänzung der einzigen Bühnendekoration: einem Karussell. Und es schaut aus, als sei doch fast alles gut gegangen für Mendel Singer, der jetzt noch einmal zu leben anfängt. „Ich will die Welt begrüßen“, sind seine letzten Worte – ein Schluss, den man Joseph Roth 1930 ein wenig übel genommen hat. Wo, bitte, blieb das Negative?

Johan Simons liest den Roman, dessen Dialoge ohne große Umstände (und Brüche) auf die Bühne übertragen werden, am Ende aber ganz im Gegenteil als Utopie und inszeniert Mendel Singer, den großen Glaubenden und ebenso großen Zweifler, als Stehaufmann, der erst seinen Gott in der Ferne verlieren muss, um den Menschen in sich wieder zu finden. Und André Jung, der anfangs ständig wie ferngesteuert wirkt (und auch so redet), spielt die Wandlung der Hauptfigur, als mutiere er langsam von der Raupe zum Schmetterling: fast, dass er davonfliegt in dieser das schwerste Leben federleicht nehmenden Inszenierung.

Zwei Stunden lang mucksmäuschenhafte Stille in den Münchner Kammerspielen, wo Johan Simons 2010 die Intendanz von Frank Baumbauer übernimmt. Dann: Ovationen.

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