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Kultur: Gott steckt im Detail

Großer Maler, kleine Bilder: Adam Elsheimer im Frankfurter Städel

Mit umwölkt würde man diesen Blick wohl bezeichnen. Aus verhangenen Augen, die Stirn missmutig gekräuselt, der Mund unter dem buschigen Schnurrbart zusammengepresst, schaut der Maler den Betrachter auf seinem Selbstporträt an, das ihn als Mitglied der römischen Akademie ausweist. Was ist nicht alles in dieses Bildnis hineingelesen worden, denn bis heute ist Adam Elsheimer der Kunstgeschichte ein Rätsel geblieben. Das Frankfurter Städel versucht nun mit einer großen Ausstellung etwas davon zu lüften; schließlich ist hier die Adam-Elsheimer-Forschungsstätte beheimatet, befindet sich im Haus die weltweit größte Sammlung seiner Werke und gilt der 1610 mit 32 Jahren in Rom verstorbene Künstler als großer Sohn der Stadt.

Beinahe vollständig ist in dieser einmaligen Schau das schmale, knapp 40 Bilder umfassende Œuvre dieses zu Schwermut neigenden Eigenbrötlers versammelt. Fast 400 Jahre nach seinem Tod wird ihm endlich jene Anerkennung zuteil, die ihm zeitlebens versagt geblieben war. Allein unter Künstlern fand der melancholische Sonderling die ihm gebührende Beachtung. „Nach einem solchen Verlust sollte sich unsere ganze Zunft in Trauer hüllen“, schrieb Rubens erschüttert über die Todesnachricht in einem Brief an einen Freund.

Tatsächlich befinden sich die Werke des formatsprengenden Antwerpener Malerfürsten und seines nur postkartengroß, mit Lupe auf Kupferplatten pinselnden Kollegen auf gleicher Höhe. Wie Rubens dachte Elsheimer in großzügigen Dimensionen und fokussierte doch das Geschehen auf wenige Zentimeter. Das brachte ihm in seiner Wahlheimat Italien den Ruf eines „Diavolo per gli cose piccole“ ein, teuflisch gut in kleinen Dingen. Gerade darin liegt auch der Erfolg der Frankfurter Schau begründet: Sie lässt unseren Cinemascope gewohnten Blick, im Alltag bombardiert mit haushohen Reklametafeln, „Im Detail die Welt entdecken“ – so auch der Ausstellungstitel.

Im Jahr des Rembrandt-Geburtstages, das der Barockmalerei mit Großausstellungen huldigt und in Amsterdam unter Hinzunahme Caravaggios die Helldunkel-Effekte zelebriert, aber kommt die Elsheimer-Präsentation einer Entdeckung gleich. Hier sind im Kleinen, im Verborgenen Bildideen entwickelt worden, die erst viel später, bei den berühmteren Kollegen ihren Durchbruch fanden. Denn obwohl den zurückgezogen in Rom lebenden Elsheimer die Verbreitung seiner Bilder vermutlich kaum interessiert haben dürfte, gelangten die Nachstiche seiner Kompositionen weit über die Alpen hinaus in seine Heimat und die Niederlande, wo sie wiederum von einem Rembrandt aufgegriffen wurden.

Der Schattenriss des Jupiter, der in dem Gemälde „Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis“ an einem Tisch vor einer Kerze sitzt, gleicht exakt dem Christus in Rembrandts „Emmaus-Mahl“ zwanzig Jahre später. Die zauberhafte Morgenstimmung im nachträglich fast völlig von Figuren befreiten Landschaftsbild „Aurora“ kündet wiederum Claude Lorrains berühmtes gleichnamiges Gemälde an, ja verweist auch schon auf Caspar David Friedrich und das Schaffen der Romantiker zwei Jahrhunderte später.

Diese enorme Ausstrahlungskraft lässt verstehen, was Rubens damit meinte, als er nach Elsheimers Tod formulierte: „Ich bitte Gott, er möge Adam seine Faulheit verzeihen.“ Hier war ein überragender Künstler am Werk, an der Schwelle zum Barock, der Zeitgenossen und noch deren Nachfolgern neue Wege aufzuzeigen vermochte. In seiner Kunst kreuzte sich das Erbe altdeutscher, kleinteiliger Malerei mit dem großzügigen, atmosphärischen Zugriff der venezianischen Meister, die Elsheimer bei seinem Venedig-Aufenthalt studierte und auf seine Weise adaptierte.

Das Ergebnis rubrizierte die Kunstgeschichte unter dem Begriff „poetische Malerei“, in der zunehmend die Stimmung eines Raumes, einer Landschaft das Thema bestimmte. So entwickelten sich Elsheimers Sujets im Laufe seiner knapp 15-jährigen Karriere von vielfigurigen Dramen wie dem „Brand von Troja“ oder der „Sintflut“ zu immer beschaulicheren Nachtstücken, die ihren Höhepunkt in der „Flucht nach Ägypten“ haben, dem letzten Bild des Künstlers. In ihm verdichtet sich eine weitere Besonderheit von Elsheimers Schaffen, das große Interesse an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Während er im anrührenden Gemälde „Tobias und der Engel“ trotz aller Stimmungshaftigkeit die Darstellung eines Eukalyptusbaumes unterbringt, der gerade erst als Gattung entdeckt worden war, wölbt sich über Josef und Maria auf der Flucht ein Sternenhimmel samt Milchstraße, der in seiner Akkuratesse nur mit dem kurz zuvor, 1609, entwickelten Fernrohr studiert worden sein kann.

Elsheimer ist ein Zauberer des Lichts, das sich in seinen nachtdunklen Bildern aus vielerlei Quellen speist: vom Mond, vom Lagerfeuer, von Kienspan, Kamin oder Kerze. Eine Wärme und Weichheit geht von ihm aus, die unerreichbar bleibt und von einem anderen großen Lichtregisseur wie Caravaggio unter genau umgekehrten Vorzeichen eingesetzt wurde. Statt für das Menschheitsdrama interessiert sich Elsheimer zunehmend für die individuelle Befindlichkeit seiner Protagonisten, deren Seelenleben sich im Licht reflektiert. Da liegt es nahe, Elsheimers Bilder auch als Spiegel seiner eigenen Gemütsverfassung zu verstehen, die sich zunehmend verfinsterte. Die Frankfurter Ausstellung wirft stattdessen ein Licht auf sein Schaffen.

Frankfurt, Städel, bis 5. Juni, Katalog (Edition Minerva) 29,90 €. Keith Andrews: Adam Elsheimer. Werkverzeichnis der Gemälde, Zeichnungen und Radierungen. Schirmer/Mosel Verlag, 2006, 39,80 €.

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