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Kultur: Gott & Geck

Anrührend: „Die Nonne“ – nach Denis Diderot.

Im 18. Jahrhundert war Europa Schauplatz eines seltsamen Exodus: Der Himmel stand plötzlich leer. Nur die Unbeirrbarsten setzten ihre Hoffnungen weiterhin auf die oberen Sphären, viele aber sahen die Erde mit ganz neuen Augen: Sollte man nicht auch hier leben können, ja, überhaupt nur hier? Gott muss sehr vereinsamt sein damals, und wenn es nicht noch vier andere Erdteile gäbe, die derlei Exaltationen nie teilten, stünde er noch heute ziemlich allein da.

Dabei glaubt die Buchhalterstochter Suzanne Simonin in jenem Frankreich des Jahres 1965 durchaus an ihn, glaubt sogar, ihn zu lieben, jedenfalls mehr als jenen lächerlichen möglichen Heiratskandidaten, für den sie jetzt Klavier spielen muss. Aber zusammenleben möchte sie mit keinem von beiden: weder mit Gott noch mit diesem Gecken. Nun droht der armen Suzanne – die Hochzeiten der älteren Schwestern haben das Familienvermögen verbraucht – ohnehin das Kloster. Doch das junge Mädchen sagt bei der alles besiegelnden Zeremonie Nein.

Guillaume Nicloux’ Verfilmung von Denis Diderots Roman „Die Nonne“ ist nicht die erste. 1966 wurde Jacques Rivettes Version des Stoffs noch am Tag ihrer Vorführung im Wettbewerb von Cannes verboten. Die Kritiker waren trotzdem enttäuscht. Sie hätten nicht geglaubt, dass die Nouvelle Vague so langweilig sein kann. Auch Nicloux’ Ehrgeiz scheint sich ganz aufs Konventionelle zu richten. Hustet jemand, darf man vermuten, dass er gleich sterben wird. Treibt der Herbstwind die Blätter über die Wege, ist die Windmaschine nicht fern.

Irgendwann aber trägt sogar dieser gemächliche Erzählstrom, und das ist das Verdienst von Pauline Étienne. Sie ist die Nonne wider Willen, die Nicloux für seinen Film entdeckt hat. Beinahe ikonenhaft wirkt sie und ist zugleich, was Ikonen höchst selten sind: ein Kobold, im Trotz noch voller Anmut und in der Anmut nicht ohne Trotz. Ein Gesicht und ein Wille. Eben jener, der dieses ungeheure, ungeheuerliche Nein sagt.

Natürlich hat den beweglichen und aufklärerischen Geist Diderot diese Regung des Eigenwillens interessiert. Warum kann eine nicht, was fast alle andere können – Ja sagen, sich in ihr Los fügen, zumal ihr Geschlecht ohnehin auf Unterwerfung abonniert scheint? Diderot feiert dieses Ich, und Nicloux feiert mit. Er erzählt eine universelle Geschichte, mit unverhofften christologischen Pointen: Wer nicht gegen sein Gewissen handeln kann, ist der nicht der wahre Mensch? Immerhin stehen diesem Mädchen noch Berufungsinstanzen zu Gebote, über die wir heute oft nicht mehr verfügen, im Zweifel der Herr selbst. „Ich konnte nicht lügen, Gott hat es abgelehnt“, sagt sie.

Der Konflikt, den Suzanne so archetypisch löst, zielt auf den Abgrund der Religion selbst. Seit es das Christentum gibt, ortet es das Böse in dem Ich-Sagen, dem menschlichen Eigenwillen. Für die neue Oberin (Louise Bourgoin) ist Suzanne eine Besessene. Vom Teufel ist alles, was „Ich!“ sagt. Und was „Welt!“ sagt, auch.

Das eigentliche Martyrium, das nun hinter den Klostermauern beginnt, spielt Pauline Étienne mit äußerster Wucht. Einmal ist sie nicht viel mehr als ein getretenes Stück Kreatur, schon untergangen in der verratenen Schöpfung. Aber im nächsten Augenblick – und fast nichts ändert sich an Szene und Beleuchtung – wird ihr Gesicht zu dem des Gekreuzigten selbst. Und keine der allzu Frommen, deren Glaube ein gutes Maß für ihre Grausamkeit ist, sieht das, schon gar nicht die Oberin.

Und was bietet „Die Nonne“ sonst auf, neben Pauline Étienne? Martina Gedeck als Mutter dieses Kindes macht noch ihre Nebenrolle zur kleinen Hauptrolle, ebenso wie Isabelle Huppert als Oberin, die dem unschuldigen Trotz der Neuen sofort verfällt. Welch geschützter Raum für Frauen, die Frauen lieben, ist doch so ein Kloster! Aber Suzanne kennt nur eine Sehnsucht: die Welt. Kerstin Decker

Bundesplatz, Cinemaxx, Filmkunst 66, FaF, Yorck; Omu im Babylon Mitte

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