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Kultur: Grasnarben

Maueransichten in der Galerie Raab

Vor den Himmel schiebt sich das milchige Zifferblatt einer Standuhr, seitlich versperrt ein typisches DDR-Hochhaus die Sicht. Es ist kurz nach sechs. Dabei war es für die Herrscherriege in Ost-Berlin schon fünf vor zwölf, als Hans-Martin Sewcz 1988 sein „Selbstportrait“ (1200 €) fotografierte. Schemenhaft taucht der Fotograf im unteren Teil vor einer Unterführung auf. Der Fußgängertunnel als Sehnsuchtssymbol. Als Fluchtweg musste Sewcz ihn allerdings nicht nutzen – kurz nach der Aufnahme wurde seinem Ausreiseantrag stattgegeben.

Für die Ausstellung „1961-8-13“ setzt die Galerie Raab auf den emotionalen Impetus. „Es geht um Geschichten, viele Besucher werden in der Ausstellung zu eigenen Erinnerungen angeregt“, sagt Ingrid Raab und erzählt ihrerseits von den Besuchen bei Karl Horst Hödicke, dessen Kreuzberger Atelier einst an der Mauer lag. Der tägliche Blick auf deutsch-deutsche Geschichte war für den heute 73-Jährigen Inspirationsquelle und Reibungspunkt. So erinnert die Stoffcollage „Jäger und Gejagte im Deutschen Wald“ (1972) mit abstrakt-figurativen Farbflecken und erdigen Tönen an das Stumpfe des Militarismus. In diesem Spektrum, zwischen Malerei und Fotografie, Ost- und West-Biografie steckt die Schau ein weites Feld von Armando (Jahrgang 1929) bis hin zu Timo Stammberger ab, der aus Hamburg stammt und die renommierte Ostkreuzschule für Fotografie absolvierte. Während Armando Kriegsgerät mit leichtem Duktus in Sinnbilder des „Schönen im Bösen“ verwandelt (25 000– 34 000 €), wirft Harald Klemm einen melancholischen Blick auf den „Transit“ (5400 Euro) und malt das verlassene Mauerland in hellem Licht und kühler Farbigkeit – unwirtlich und anrührend zugleich.

Das alles gibt dem Thema eine große Offenheit, wird in der Zusammenschau aber leider zum Allerlei. Man vermisst ein Konzept, das zwischen den Werken Beziehungen knüpft. Dabei sind die Positionen durchaus spannend und ist etwa Stammberger eine Entdeckung. Mit finster-morbiden Farbfotografien (950 €) fängt er das Unheimliche und Bedrohliche eines ehemaligen Raketenstützpunktes in Russland ein. Auch hier wurden die Mauern eingerissen, wächst allmählich Gras über die Geschichte, die Stammberger mit seinen eindringlichen Fotografien wachhält. Michaela Nolte

Galerie Raab, Fasanenstraße 72; bis 27. 8., Mo - Fr 10 - 19 Uhr, Sa 10 - 16 Uhr.

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