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Gratulation: Nimmer beugen

Historiker Arnold Paucker wird 90 Jahre alt

Vor ihrer Hinrichtung in Plötzensee sangen die „Jungen und Mädchen des jüdischen Widerstands“ Lieder der Arbeiterbewegung und der jüdischen Tradition: „Soviel zum Selbstverständnis jüdischer Jugend in den Tagen des Untergangs des deutschen Judentums“. Für Arnold Paucker, der mit diesem Satz einen Essay über Selbstbehauptung beschließt, bilden Recherchen zur Antisemitismusabwehr vor 1933 und die Widerlegung des Klischees vom passiven Holocaustopfer den Kern seines Lebenswerkes. 3000 deutsche Juden agierten in diversen Gruppen gegen das NS-Regime, fand der am 6. Januar 1921 in  Berlin geborene Forscher heraus. Hätten sich im Vergleich so viele Nichtjuden engagiert, entspräche das einer Zahl von 900 000 „im Reich operierenden aktiven deutschen Antifaschisten“.

Wegen des Kalten Krieges, aber auch, weil Historiker Probleme mit der „Illegalität“ hatten, wurde jüdischer (linker) Widerstand nach 1945 verdrängt. Paucker würdigt das ganze Spektrum der Courage: den zionistischen Funktionär und den Rabbiner, die statt zu emigrieren mit ihren Leuten in den Tod gehen; den jüdischen Repräsentanten, der sich Deportationen widersetzt. Der 15-jährige Arnold selbst war 1936, kurz vor seiner Emigration nach Palästina, zum Flugblätterverteilen angeworben worden. In der Schule tat er sich beim Skandieren subversiver Goethe-Chöre hervor: „Ängstliches Klagen wendet kein Elend , macht dich nicht frei / Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten, nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, rufet die Arme der Götter herbei.“

„Es gibt Lebensläufe, die bewegter sind, aber mir reicht es eigentlich“, sagt Paucker. 1932 überzeugte er seine Eltern, künftig SPD zu wählen. Er macht Erfahrungen in proletarischen, zionistischen, religiösen Bewegungen. Die Eltern fliehen 1939 nach Schanghai, der Bruder nach Frankreich. Verwandte werden ermordet. In Palästina meldet sich Arnold zur Jüdischen Brigade der Briten. Der Jubel im Bologna der roten Partisanenfahnen stärkt seine Hoffnung auf eine neue Zeit. „Nach der Befreiung in Mauthausen haben wir erst Kaddisch gesagt, dann Fäuste erhoben und die Internationale gesungen.“ In Florenz trifft er die Engländerin Pauline, sie heiraten. Der Kurs gegen Tito zerstört seinen Glauben an Stalin. Germanistik-Studium. Arbeiten über das Westjiddisch führen ans Londoner Leo Baeck Institut. 41 Jahre hat er dieses Zentrum für die Geschichte der deutschen Juden geleitet.

Berliner Jugenderinnerung ist für ihn: das Elternhaus im tiefen Schnee, Mommsenstraße 1. Die Heimat ist England; für den Tee bei Pauckers ist er zuständig. Linke Theorie interessierte ihn nie, „die Ideale genügten mir: Kein Sozialismus ohne Freiheit, keine Freiheit ohne Sozialismus“. Talent zur Freundschaft wird dem Verschmitzten nachgesagt, und dass er beim Duschen die Internationale singe. Er bleibt sich treu. Thomas Lackmann

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