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Kultur: Gravuren bringen Glück

Historische Gläser im Kunstgewerbemuseum

Selbst wer venezianisch-verspielte Glasbläserkunst und deutsche Kristallglas-Humpen mit Jagdszenen für Kitsch hält, wird dieser Ausstellung etwas abgewinnen können. Denn die mit kleinem Budget gestemmte Schau „Manuell – Maschinell“ mit Glaskunst des 19. Jahrhunderts aus dem Magazin des Kunstgewerbemuseum zeigt nicht nur Handwerk auf höchstem Niveau. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich in den Dingen des Alltags Moden und Lebensbedingungen niederschlagen.

Am Anfang des Jahrhunderts dienen Gläser als Geschenke unter Freunden und Liebenden. Wenn man in der Gravur einen wilden Blumenstrauß entdeckte, so war das der größte Liebesbeweis, ein Symbol für Leidenschaft und Treue gleichzeitig. Später werden Reisen mit der Eisenbahn erschwinglich, und plötzlich finden sich auf den Kelchen und Bechern Abbildungen der beliebtesten Kurorte, von Helgoland oder dem böhmischen Marienbad. Die Vielfalt an Stilen und Techniken hat mit der Industrialisierung zu tun, die Glashütten reagieren auf den steigenden Konkurrenzdruck mit innovativen Kreationen. Tässchen mit gotischen Bögen als Ausdruck einer vermeintlich „deutschen Baukunst“ sind eine nationalistische Gegenreaktion auf den Empire-Stil Napoleons.

Die Erfindung des Pressglas, ebenso ein mitteleuropäisches Gegengewicht zu dem aus Frankreich und England stammenden Bleikristall, führt dazu, dass sich auch die einfachen Bürger zumindest luxuriös Scheinendes leisten können – führt aber zu Massenarbeitslosigkeit in den traditionsreichen Produktionszentren, die sich in Schlesien und Böhmen befanden. So bezeugt diese kleine, feine Ausstellung die Janusköpfigkeit der Epoche: Nicht alles glitzerte und glänzte damals. Anna Pataczek

„Manuell – Maschinell. Gläser des 19. Jahrhunderts“, Kunstgewerbemuseum, Kulturforum am Potsdamer Platz, bis 19. September, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

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