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Antikes Olympia

© AFP

Griechenland: Arkadien ist abgebrannt

Griechenlands Brände: eine nationale Tragödie und ein Fall für Europa. Der Autor Petros Markaris macht sich Gedanken zur Feuerkatastrophe in seiner Heimat.

Nicht das olympische Feuer brennt, sondern Olympia brennt. Das fasst die griechische Katastrophe in ihr dramatisches Bild. Und die Landschaft in der Mitte des Peloponnes ist Arkadien. Das bedeutet auch: Goethes Arkadien existiert jetzt nicht mehr. Ein Stück der griechischen Identität ist im Feuer aufgegangen.

Denn auch für die modernen Griechen bezeichnen Olympia und die arkadische Landschaft nicht einfach nur mythische Orte. Griechenlands innere Wahrzeichen sind Athen, Delphi und Olympia, und dieses Dreieck ist heute versengt. Die lebendige, auch von weniger gebildeten Menschen empfundene Verbindung zwischen der Antike und Neugriechenland verkörpern die Weinberge und die Olivenhaine. Beide sind trotz aller zivilisatorischer Umwälzungen im Grunde unverändert geblieben. Diese bis eben noch lebendige Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, von Natur und Kultur haben die Feuer zerstört. Auf dem Peloponnes wurde zudem ein Herzstück Europas in Asche und Wüste verwandelt.

Das ist eine Tragödie, deren politische, mentale, soziale Dimensionen im Moment noch kaum begreifbar sind. Der Peloponnes war eines der letzten landschaftlichen und landwirtschaftlichen Paradiese. Daraus haben wir uns selbst vertrieben. Oder wurden vertrieben.

Heute morgen habe ich gerade das fünfte Kapitel meines fünften Romans mit dem Kommissar Kostas Charitos zu Ende geschrieben. Kostas ermittelt diesmal in Istanbul. Würde ich ihn jetzt zurück nach Griechenland schicken und auf die Spuren der Brände setzen, dann hätte er es mit einem explosiven Gemisch aus Ursachen und Verursachern zu tun. Da sind Fahrlässigkeit und alltägliches menschliches Versagen mit im Spiel. Aber entscheidend ist die Verantwortungslosigkeit – nicht nur der Regierung in Athen, sondern auch der Kommunen und einzelner Bürger.

Natürlich gibt es in Griechenland, wie in Italien, ein organisiertes Brandverbrechen. Das ist allerdings mehr ein Phänomen der großen Städte. Wenn es um Athen herum brennt, in Attika, oder in der Gegend von Thessaloniki und der Halbinsel Chalkidike mit ihren touristischen Gebieten, dann steckt die Baumafia dahinter. Aber auf dem Peloponnes ist das Bauernland ist an sich kein Bauland. Hier sind die Brandstifter eher Hirten, Bauern, die keinen Wein oder Oliven kultivieren, und Viehzüchter, die alle mehr Acker- und Weideland ergaunern wollen. Oder Einzelpersonen, die Platz für ein größeres Haus suchen und skrupellos oder nur gedankenlos zündeln. Mit denen kollaborieren dann korrupte lokale Bürgermeister, die vor ihrer Wiederwahl bei Einzelprojekten bestimmen Leuten gefällig sein wollen. Das ist kriminell, aber noch kein Fall von Mafia.

Hauptverantwortlich ist indes die Regierung. Obwohl es jedes Jahr brennt, hat Griechenland in seinen Wäldern noch immer keine Schneisen und Brandwege, die Gelder für die Rodung von dürrem Gestrüpp werden veruntreut, es gibt um die Dörfer keine Sicherheitsgürtel. Und es fehlen die Kataster und Gesetze, die den Waldbesitz regeln, es fehlen wirksame Bausperren für verbranntes Land und eine durchgreifende Strafverfolgung bei Brandstiftung. Das weiß man seit Jahren.

Die Meteorologen hatten für 2007 einen extrem heißen, trockenen Sommer vorhergesagt, und Studien haben gewarnt, dass uns mindestens 5000 Feuerwehrleute fehlen. Im Mai versprach die Regierung Karamanlis, wenigstens 1500 neue Feuerwehrleute zu rekrutieren, was nicht geschah – und was schon damals zu spät gewesen wäre, um Leute für die Brandbekämpfung professionell auszubilden. Stattdessen wurde im Sommer ein Viertel der Feuerwehr in Urlaub geschickt. Auch hätte man die Armee einsetzen können. Offiziere, die wütend und verzweifelt sind, hatten das angeboten. Doch ist jetzt Wahljahr, und die beiden betroffenen Minister für Verteidigung und öffentliche Ordnung sind innerhalb der Konservativen Partei Konkurrenten im selben Wahlkreis, da hat keiner dem anderen einen Erfolg gegönnt. Griechenland hat überall das Meer als Löschwassertank. Trotzdem fehlen die Wasserflugzeuge, die müssen wir uns jedes Jahr teuer aus Russland leihen und jetzt in Frankreich und Deutschland erbetteln. Das ist ein Witz, der diesmal zur Tragödie geworden ist.

Für Ministerpräsident Karamanlis werden die bisher siegessicher angesteuerten Parlamentswahlen in drei Wochen zur Abbrechung werden. In Athen spricht man heute von einer Parallele zum Fall Aznar: als Spaniens Regierung nach den Terrorattentaten von Madrid über ihre Unfähigkeit stürzte. Deswegen redet die Regierung auch von Verschwörung. Das ist ein beliebtes Muster. Griechenlands Politiker glauben am liebsten an Wunder oder an Verschwörungen.

Die Olympischen Spiele 2004 in Athen waren ein Wunder. Dass Olympia brennt, ist eine Verschwörung. Der Minister für öffentliche Ordnung, der Byron Polidoras heißt und auch Gedichte schreibt (scheußliche, trotz seines Vornamens), raunt jetzt von einer „asymmetrischen Gefahr“, wie Präsident Bush vom Terrorkrieg. Dabei gehört Griechenlands Feuertragödie zur Symmetrie eines nationalen Versagens. Weil es aber weit über Klima- und Tourismusfragen hinaus auch um die Verwüstung eines Stücks europäischer Kultur geht, muss nun auch die Europäische Union handeln.

Eine EU-Konferenz ist überfällig, und das betrifft von Spanien bis Griechenland alle Staaten des Mittelmeers. Denn nur eine Änderung und schärfere Kontrolle der Subventionspolitik der EU mit konkreten Auflagen für den Katastrophenschutz im südlichen Feuergürtel unseres Kontinents könnte für neue Hoffnung sorgen.

(Aufgezeichnet von Peter von Becker)

Der griechische Autor Petros Markaris, 1937 in Istanbul geboren, studierte in Wien und Stuttgart. Seine Krimis um den Kommissar Kostas Charitos erscheinen auf Deutsch bei Diogenes.

Petros Markaris

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