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Kultur: Griff nach dem Stern

MoMA in Berlin: Für die Macher ist der New Yorker Kunsttransfer ein Lebenstraum – und ein Glücksspiel

Wrrrrrooooommmm!!!! In Riesenlettern knallt einem auf rosafarbenem Grund die Schrift entgegen, als wäre es das Top-Angebot eines Media-Marktes. Doch um Waschmaschinen geht es nicht. Auch nicht um Computer. Stattdessen liest man: „Das MoMA ist der Star.“

Wer, bitte, ist MoMA? Für Peter Raue lautet die Antwort nicht einfach MoMA gleich Museum of Modern Art. Nein, für den Vorsitzenden des Vereins der Freunde der Neuen Nationalgalerie bedeuten die vier Buchstaben weit mehr: die Erfüllung eines Traums, wenn ab 20. Februar über 200 Meisterwerke des berühmten New Yorker Museums für acht Monate im Mies van der Rohe-Bau gastieren. Cézanne, Monet, Picasso, Chagall – sie alle kommen mit ihren bedeutendsten Werken, kehren zurück in die alte Welt.

Noch nie hat das MoMA seine Sammlung in so geschlossener Form außerhalb der Vereinigten Staaten gezeigt. Und wohl selten ist eine Ausstellung mit so massiven Mitteln beworben worden. Das hat – neben der großartigen Kunst – seinen guten Grund: Nicht die Neue Nationalgalerie, nicht die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind die Initiatoren dieser einmaligen Bilderreise, sondern ein Privatverein, eben jener „Verein der Freunde“, wie er sich kurz nennt. Dieser Freundschaftskreis ist bundesweit eine Ausnahmeerscheinung als Förderverein. Wie vergleichbare Zirkel erhebt auch der Berliner Club bei seinen Mitgliedern – Rechtsanwälte, Ärzte, Bildungsbürger – mit 600 Euro einen recht ordentlichen Jahresbeitrag, mit dem er sich der Unterstützung seines Museums verschrieben hat.

Während jedoch die meisten Vereine nur bei Neuerwerbungen als Gönner in Erscheinung treten, entfalten die Berliner noch ganze andere Aktivitäten: Sie initiieren sogar Ausstellungen. Aus eigener Kasse will der Club nun auch das MoMA stemmen, die Millionen meistern, was selbst dem ein oder anderen Vereinsmitglied vermessen vorkommt.

Aber Peter Raue ist da zuversichtlich; Hosenflattern kennt er nicht. Die Fliege sitzt korrekt wie immer. Der quirlige Rechtsanwalt, dessen Spezialität Urheber- und Persönlichkeitsrecht ist und in Berlin als einer der einflussreichsten Kultur-Strippenzieher gilt, kokettiert mit der Herausforderung: „Der Größenwahn ist dem Verein eingeschrieben durch meine Person,“ gibt er launig zu Protokoll. Schlaflose Nächte gab es nur in der ersten Phase, im Sommer vor zwei Jahren. Nach einem gemeinsamen Essen in einer Schöneberger Kneipe mit seinem Freund Glenn Lowry, dem Direktor des Museums of Modern Art, hatten die beiden Männer zu „spinnen“ angefangen, wie Raue es nennt.

Das MoMA wollte seine besten Bilder nach Europa auf Reisen geben während der großen Umbauphase im Stammhaus in der West 53rd Street. London, Paris, Barcelona, auch Frankfurt am Main wegen des internationalen Flughafens waren da als europäische Haltepunkte im Gespräch. Raue aber machte an diesem Abend Lowry klar, dass nur eine Station in Frage kommt und ausschließlich diese: natürlich Berlin, die gläserne Halle von Mies van der Rohe, dem großen Bauhaus-Architekten, dem sich auch MoMA-Gründer Alfred H. Barr verbunden fühlte. Das MoMA als „museum in residence“. Abgesehen davon wäre es für die kostbaren Kunstwerke viel weniger riskant, wenn sie an einem Standort verblieben.

Was Lowry seinen Trustees in New York erzählt hat, ist nicht überliefert. Schließlich verringern sich nun auch die Leihgebühren für Picasso & Co. Vom Verein der Freunde, denen Raue seinen Coup verkaufen musste, weiß man indessen, dass sein Griff nach dem „Star“ nicht nur Zustimmung fand, denn das Risiko ist groß. 700000 Besucher müssen kommen, Kataloge kaufen, Seidenschals, Puzzle, Kaffeetassen mit Monets Seerosen erwerben, damit der Verein den break even erreicht.

Doch Raue gibt sich unbekümmert: Die MoMA- Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle vor zehn Jahren brachte bei einer Laufzeit von nur drei Monaten 340000 Besucher; da müsste man doch locker mehr als das Doppelte bekommen. Außerdem ist der Verein im Laufe des Vierteljahrhunderts seiner Existenz immer Plusminusnull herausgekommen. Während die von den „Freunden“ finanzierten Twombly-, Kiefer-, Baselitz-Ausstellungen Miese brachten, konnten mit Toulouse-Lautrec, Degas und Picasso die Schulden beglichen werden.

Und wenn es doch nicht klappt, die 8,5 Millionen Euro einzuspielen, die Raue als Gesamtsumme für Leihgebühr, Transport und Druckkosten für Katalog und Postkarten nennt (für die Versicherung ist Kulturstaatsministerin Christina Weiss mit Staatshaftung eingesprungen)? Ganz kurz nur legt sich Peter Raues Stirn in Falten: Dann wird er doch nicht, wie angekündigt, nach 27 Jahren seinen Posten als Vereinsvorsitzender zur Verfügung stellen, sondern das Kassenloch stopfen helfen. Damit es so weit erst gar nicht kommt, steigern sich parallel zur zunehmend anbrausenden Werbekampagne auch beim Verein die Aktivitäten. Schließlich muss er sich auch um Wachpersonal, Versorgung der Besucher, Verkauf der Tickets kümmern.

Schon vor Wochen wurden die „MoMAnizer“ rekrutiert, die den Wartenden vor den Drehtüren der Neuen Nationalgalerie die Zeit verkürzen sollen: mit einer Tasse Kaffee oder dem Hinweis, dass der Einlass nicht mehr lange dauert. Drinnen werden diese guten Geister erklären, wo Kassen und Garderobe sind. Das Modell der „embedded journalists“ vom Irak-Krieg lieferte das Modell, scherzt Raue, in der Neuen Nationalgalerie wird es den „embedded visitor“ geben.

Die Maschinerie läuft auch bei Berlin-Tourismus auf vollen Touren, selbst wenn noch niemand sagen kann, wie die MoMA-„packages“ von den Hotels angenommen werden. Denn auch für die professionellen Berlin-Verkäufer ist das MoMA der Star. Sie haben 2004 sogleich zum Museumsjahr ausgerufen, da nach dem New Yorker Donnerschlag die Flick-Collection, das Newton-Archiv, das Köpenicker Kunstgewerbemuseum und die Berlinische Galerie eröffnen. Ein Superknüller lässt sich eben besser vermarkten, als wenn immer nur die Bestände aufgezählt werden. Schließlich kommt der Werbeeffekt auch den anderen Museen zugute, heißt es, wenn es „Wrrrrrooommm!!“ macht in der Neuen Nationalgalerie, dass es nur so kracht.

Und die Kunst, der eigentliche Star? Sie hüllt sich edel in Schweigen und harrt der stillen Zwiesprache mit ihrem Betrachter. Wie immer.

MoMA, ab 20. Februar in der Neuen Nationalgalerie, Katalog: 29 €.

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