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Küchentisch-Visionen. Dietrich Lehmann und Christian Giese in "Die letzte Kommune.

© David Baltzer

Grips-Theater: Der junge Sack im alten Sack

Renitenz statt Seniorenresidenz: Zwei Apo-Opas gründen im Grips-Theaterstück „Die letzte Kommune“ eine Wohngemeinschaft. Franziska Steiof hat das Schauspiel mit Musik von Peter Lund und Thomas Zaufke inszeniert.

Nur mit den Füßen voran will Opa Friedrich seine Wohnung verlassen. Was ihm unlängst beinahe gelungen wäre. Der emeritierte Professor für Sozialarbeit hat um ein Haar seine Küche in die Luft gejagt. Jetzt ist Tochter Heidi alarmiert und möchte den störrischen Alten am liebsten ins Heim bringen. Ihr Mann Georg könnte nebenbei mehr Platz für sein Versicherungsbüro brauchen und rückt in der feudalen 180-Quadratmeter-Flucht schon mal mit Zollstock an. Denkste! Friedrich hat andere Pläne. Zusammen mit seinem alten Hasskumpel Hannes will er eine WG, genauer: Kommune aufmachen. Renitenz statt Seniorenresidenz.

Eine selbstgewählte Gemeinschaft soll es werden, ohne die Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft. Freie Liebe! Offene Klotür! Okay, ganz so wild wie 68 geht’s heute nicht mehr zu. Der Wein stammt aus der Toskana statt aus Algerien. Und geraucht werden darf nur noch auf dem Balkon. Aber das Herz schlägt weiter verlässlich links, zumindest, wenn die Tabletten regelmäßig genommen werden.

„Die letzte Kommune“ heißt das Schauspiel mit Musik von Peter Lund und Thomas Zaufke, das Franziska Steiof im Grips uraufgeführt hat. Die Regisseurin scheint am Hansaplatz die WG-Expertin zu sein, sie hat dort schon die Gentrifizierungskomödie „Schöner Wohnen“ inszeniert. Wobei sich dort ungeahnte neoliberale Untertöne einmischten. Diesmal läuft es politisch korrekt ab. Die Apo-Opas werden nicht auf Kapitalismuskurs eingenordet. Nur ein bisschen bespöttelt, liebevoll. Der großartige Dietrich Lehmann spielt den knorrigen Revolte-Gewinnler Friedrich, der heute Notgroschen in sechsstelliger Höhe in der Eiscremedose hortet. Der nicht minder begnadete Christian Giese gibt dagegen den wacker proletarischen Metallarbeiter Hannes mit Hammer-und- Sichel-Schnalle an der Hose und ergrautem Pferdeschwanz. Zwei alte Recken, die heute nicht mehr ganz so ideologiesicher sind wie zu K-Gruppen-Zeiten. Ihr erster Mitkommunarde ist ausgerechnet „Motz“-Verkäufer Atze (klasse: Ensemble-Neuzugang Kilian Ponert), der sich recht unpolitisch durchs Leben schnorrt.

Die einstigen Kommunenkinder kommen nicht klar im Leben

Das eigentliche Thema der „Letzten Kommune“ ist aber ohnehin nicht das Fortwirken kommunistischer Ideale. Peter Lund und Thomas Zaufke nehmen bei ihrer elften Gemeinschaftsarbeit die großen Generationenfragen ins Visier. Mit dem Stück geben die Künstler ihr Debüt als Duo am Grips. Musiker Zaufke hat dort in der Ära Volker Ludwig schon mehrfach komponiert („Rosa“, „Die Faxen dicke“). Texter Lund, vormals im Leitungsteam der Neuköllner Oper und Professor für Musical an der UdK, schreibt zum ersten Mal für das Jugendtheater. Munter besungen und kritisch beleuchtet wird bei den beiden vor allem der eigene Sandwich-Jahrgang: Friedrichs Tochter Heidi (Regine Seidler) und Hannes’ Sohn Michael (Jens Mondalski) sind als Kommunekinder aufgewachsen. Wo’s zum guten Ton gehörte, dass man abends nicht den leiblichen, sondern anderen WG-Sprösslingen sozialistische Märchen vorlas. Um den blinden Eltern-Kind-Gehorsam zu durchzubrechen. Kein Wunder, dass die Probanden dieser Menschenexperimente heute gestört durch ihre Beziehungen taumeln wie Heidi mit ihrem Versicherungs-Kotzbrocken.

Hoffnung gibt’s erst wieder für die Enkelgeneration. Die wird von der marxistisch belesenen Lotte verkörpert (ein weiteres tolles Debüt am Grips: Maria Perlick), die ebenfalls in die Kommune zieht, dort ein strenges Öko-Regiment führt und ihrem Großvater Hannes tröstend zugesteht: „Ihr seid damals nicht politisch gescheitert, sondern privat!“ Allerdings wiederholt sich Geschichte bekanntlich gern. Friedrich-Enkel Philipp (Paul Jumin Hoffmann), der vor seiner „Meinungsnazi“-Mutter in die WG geflohen ist, verknallt sich Hals über Kopf in Lotte. Die aber steigt mit Atze in die Kiste. Wie das bourgeoise Besitzstandsdenken überwinden?

Das utopische Moment versinnbildlicht auf der Bühne von Jan A. Schröder die lange Tafel, an der sich alle Generationen versammeln. Ein Großfamilientraum gelebter Solidarität, mit allen dazugehörigen Neurosen, Kämpfen und Krämpfen. Bis sich diese Gemeinschaft allerdings gefunden hat, vergeht mehr Zeit als bei einer WG-Diskussion über die Abschaffung der Atomkraft. Das Einzige, was man Stück und Regie ankreiden kann: der dreistündige Abend für den Erwachsenenspielplan hat im ersten Teil arge Durchhänger.

Umso schärfer werden die Konflikte nach der Pause gezeichnet. Und umso berührender. Mit Josi (sensationell: Regina Lemnitz) bekommt die Seniorenkommune weiblichen Zuwachs. Die sprühend lebensbejahende Dame ist an Demenz erkrankt – und entscheidet sich für einen selbstbestimmten Abgang. Was mit hoher Sensibilität erzählt wird. Wenn’s ums Älterwerden geht, hat der Abend seine stärksten Momente. Komisch und melancholisch. Wie Hannes einmal sagt: „In jedem alten Sack steckt ein junger Sack, der sich wundert, was mit ihm passiert ist“.

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