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Kultur: Groß und Klein

Munchs „Schrei“ war nur eine von vielen Sensationen der New Yorker Moderne-Auktionen.

Ein Super-Auktionslos wie Munchs „Schrei“ stellt kurzfristig alles in den Schatten. Begehrenswerte Millionenwerke stehen plötzlich am Rand wie Aschenputtel, als handle es sich um Billigkunst. Wer spricht noch davon, dass bei den Moderne-Auktionen sechs Werke mehr als zehn Millionen Dollar brachten. Sotheby’s versteigerte ein großes Bild von Picasso für 29 Millionen Dollar. Christie’s verkaufte das Aquarell von Cezannes Kartenspieler, seit 80 Jahren nicht mehr auf dem Markt, für 19 Millionen Dollar und für denselben Preis den schönen Pfingstrosenstrauß von Matisse. Zwei Lose von Picassos und eines von Monet kamen dicht an die Zehn-Millionen-Grenze heran.

Und doch: Christie’s, wo 28 der 31 angebotenen Lose problemlos abgesetzt wurden, konnte mit seiner ganzen Kollektion das einzigartige Munch-Pastell aus der Sotheby’s-Auktion nicht aufwiegen – die Gesamteinnahme von 117 Millionen Dollar blieb unter dem Rekordpreis für Munch von 120 Millionen Dollar. Es ist fast beängstigend, wie sich die Preisskala auseinanderzieht. Aber man konnte auch sehen, wie solche Superlose den gesamten Markt nach oben ziehen, Vertrauen schaffen und auch die Käufer in den niedrigeren Preisregionen mutiger machen. So sorgen die Auktionshäuser dafür, dass ihre Rekordpreise um die ganze Welt gemeldet und wie sportliche Höchstleistungen bejubelt werden.

Sotheby’s Abendtotal von 330,5 Millionen Dollar wurde nur einmal, 2008 auf der Höhe des Booms, übertroffen. Ein Nutznießer des Munch-Jubels war Salvador Dalis „Printemps nécrophilique“ von 1936, bald nach Munch an der Reihe und von einem halben Dutzend Bieter begehrt. Bei Christie’s war ein kleiner Dali von 1946 unter den gescheiterten Losen. Dies war nun ein Werk von 1937, das dazu einmal der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli gehörte: Der Endpreis von 16,3 Millionen Dollar ist der zweithöchste Preis für Dali.

Ähnlich erfolgreich war Constantin Brancusis vergoldete Bronze „Prométhée“, ein extrem minimalisierter und stilisierter Kopf, zuletzt 1999 unter dem Hammer und damals 1,2 Millionen Dollar teuer. Nun mussten 12,6 Millionen Pfund bezahlt werden – nicht nur die Moderne und ihre Protagonisten allgemein, sondern Skulpturen insbesondere haben sich seither deutlich verteuert. Fast routinemäßig kamen die 20 Millionen für Picassos Dora-Maar-Darstellung „Femme assise dans un fauteil“ zusammen, das Hauptwerk der kraftvollen Sammlung des Finanziers Theodore Forstman. Das Los war garantiert, und der Rechtsstreit um den kleinen Riss am Hals, für den die Aquavella Galerie verantwortlich sein soll, scheint nicht geschadet zu haben.

Mit und ohne Munch strotzt der Markt vor Vertrauen. Die Käufer wollen kaufen und stoßen weit weniger in ihrem Geldbeutel auf Leere. Sondern bei einem Angebot, das im Segment der Moderne spürbar knapper wird. Man dürfte die Stärke des Marktes deshalb noch besser sehen, wenn in der nächsten Woche bei den Contemporary-Auktionen eine reiche Ernte von Klassikern und Koryphäen angeboten wird.

Die Amerikaner werden wie immer in New York dominieren – mit Spitzenlosen von Mark Rothko, Jackson Pollock oder Roy Lichtenstein. Aber es gibt auch wichtige Lose von europäischen Künstlern, allen voran Yves Kleins zentrales und ehrgeizigstes Werk „FC1“ (Fire-Color). Die Arbeit entstand 1962, nur wenige Monate vor Kleins frühem Herztod und verbindet die Techniken seiner „Feus“ und der „Anthropometrien“: Klein schuf ein drei Meter langes Format, ohne die Leinwand auch nur einmal zu berühren. Seine Werkzeuge sind Flammenwerfer und nackte Frauenkörper, die als Pinsel und Stempel eingesetzt werden.

Nie war ein so wichtiger Klein auf dem Markt wie das aus Schweizer Privatbesitz eingelieferte Werk: Christie’s hat 30 bis 40 Millionen Dollar geschätzt – weit über Kleins 2008 erzieltem Höchstpreis für das Goldblatt-Werk der deutschen Sammlung Lauffs von 23,5 Millionen Dollar. Auch hier ist der Erfolg im Voraus durch eine Abnahmegarantie von dritter Seite gesichert. Christie’s zweites Topstück ist Mark Rothkos „Orange, Red, Yellow“ aus der Sammlung David Pincus – 35 bis 45 Millionen Dollar wurden für die Arbeit geschätzt, die seit 1967 in der Sammlung war und nun als wichtigstes Werk seit dem „Rockefeller Rothko“ präsentiert wird: Das Gemälde aus dem Büro von David Rockefeller wurde 2007 für 73 Millionen Dollar versteigert. Zweites Glanzlicht der Pincus-Sammlung ist, auf 20 bis 30 Millionen Dollar geschätzt, ein 1951 datiertes, 137 cm breites Bild von Jackson Pollock, wie man es heute auch nicht alle Tage angeboten bekommt.

Auch die Schwemme an Arbeiten von Gerhard Richter wird nicht verebben: Christie’s hat sechs seiner Werke in der Abendauktion – das teuerste ist eine quadratische Abstraktion in strahlenden Rottönen für 14 bis 18 Millionen – zusammen sollen die Richter-Bilder 40 Millionen Dollar bringen.

Sotheby’s bietet schließlich drei Blockbuster: ein Gemälde von Francis Bacon, der seit 1977 nicht mehr auf dem Auktionsmarkt war und 30 bis 40 Millionen Dollar bringen soll. Lichtensteins „Sleeping Girl“, ein züchtiges Quadrat im handlichen Format von 91 Zentimeter, dessen Schätzung von 30 bis 40 Millionen Dollar zeigt, was für ein begehrter Maler Lichtenstein in den vergangenen Jahren geworden ist. Die Spitze aber bleibt Andy Warhol vorbehalten: Sein „Double Elvis“, eine amerikanische Edelikone, ist auf 30 bis 50 Millionen Dollar angesetzt. Wozu man wissen muss, dass das Großformat „Eight Elvises“ 2008 schon mit 100 Millionen Dollar in einem Privatverkauf eine Höchstmarke setzte. Was diejenigen bestärken kann, die den Munch-Preis im nüchternen Licht des Tages schon gar nicht mehr so ungewöhnlich finden.

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