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Kultur: Große Gefühle

Jack Piersons Werkschau bei Aurel Scheibler

Die Summe ist lächerlich gering und der Aufwand, den Jack Pierson betreibt, deshalb irritierend. „25 Cent“ hat er mit farbigem Neonlicht an die Wand geschrieben. Ein pekuniäres Nichts, aus dem der Künstler immerhin eine ganze Installation schöpft.

Die kleine Geste ist typisch für Pierson, den Aurel Scheibler nun erstmals in Berlin in der Einzelausstellung „The Golden Hour“ präsentiert. Die Galerie, die bis vor einem Jahr in Köln ansässig war, arbeitet seit langem mit dem 1960 geborenen US-Künstler zusammen. Piersons aktuelle Schau beschränkt sich schon deshalb nicht auf jüngste Werke, sondern legt eine Spur zurück bis in die frühen achtziger Jahre (Zeichnungen ab 4000 Euro, Installationen bis zu 130 000 Euro). Hier hat er jene „Wordpieces“ geschaffen, mit denen er international bekannt geworden ist. Wandarbeiten aus großen, gefundenen Buchstaben, die aus den alten Kinos oder von Werbetafeln stammen und mit der Zeit überflüssig geworden sind.

Jeder dieser Second-Hand-Buchstaben erzählt für sich schon eine Geschichte. Zusammen bilden sie Worte wie „Hope“, „Fear“ oder „Love“ – ein Sammelsurium der poetischen und zugleich abgenutzten Begriffe, die der Künstler ohne jede Scheu vor dem Klischee sammelt. Auch das ist ein Charakteristikum seiner Arbeit, die den schwulen Lifestyle Amerikas seit inzwischen zwei Jahrzehnten aus einer subjektiven und manchmal romantischen Perspektive festhält. Pierson hat keine Scheu vor großen Gefühlen, er inszeniert sie sogar. In bewusst unscharfen und leicht überbelichteten Fotografien von Palmen gesäumten Straßen, nächtlichen Hotelfluren und anderen Szenerien, die so beiläufig sind wie jene 25 Cent, denen Pierson aber mit sicherer Hand einen Zauber verleiht.

Was man auf seinen Bildern vermisst, sind die Protagonisten, die selten in den Fokus seiner Kamera rücken. Die meisten Bilder, Zeichnungen und Installationen erzählen im Gegenteil von ihrer Abwesenheit: verlassene Bühnen wie das von silberschwarzem Glitter umtoste Podest „Black Jackie“ (1991 / 2006), auf dem man graue Fußabdrücke erkennt. Zwei leere Stühle wie in der Installation „56 Washington Avenue“ (1991), auf deren Tisch noch schmutzige Kaffeetassen stehen. Davor liegt eine nachlässig hingeworfene Badehose. Was genau hier geschieht? Ist uninteressant. Pierson konstruiert Geschichten ohne lineare Handlung. Weit mehr gilt sein Interesse jenem Moment, der verantwortlich für eine Kette von Assoziationen ist: Erinnerungen und Gefühle, darunter stets eine leise Melancholie, die sich vor seinen Werken automatisch einstellt.

Jack Pierson ist ein Magier des Sentiments. Einer, der nicht nur große Vorbilder wie Edward Hopper oder Georges Segal zitiert, an dessen figürliche Installationen aus Gips „56 Washington Avenue“ erinnert. Darüber hinaus greift er auch ein latentes Thema der Kunst wieder auf: die Vergänglichkeit.

Dass es dafür keine eindeutigen Symbole wie Sanduhren oder Schädel mehr braucht, vermittelt sein geschlossenes Werk, das selbst noch einmal voller Rückbezüge auf die eigene Arbeit steckt. Es genügt ein Streifzug durch das tägliche Dasein, dessen Takt vom Schlafen und Essen, von Liebe, Trennung und immer wieder Nightlife bestimmt ist. Ihnen gewinnt Pierson für einen Wimpernschlag jenes vollkommene Glück ab, das im Augenblick seiner Entstehung schon wieder vom Verlust bedroht und flüchtig ist.

Galerie Aurel Scheibler, Witzlebenplatz 4, bis 3. März; Dienstag bis Freitag 10 – 13 u. 15 – 18 Uhr, Sonnabend 11 – 16 Uhr.

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