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Kultur: Große Kinder, kleine Erwachsene - Eine ungewöhnliche Patchwork-Familie in der deutschen Provinz

Bürgersteige werden geschrubbt, später werden sie sauber hochgeklappt: Das ganze Elend provinzieller Samstagnachmittage erfasst schon die erste Kamerafahrt, immer entlang an schnurgeraden Bordsteinkanten. Ein Horizontalschwenk zeigt die Fassade eines Zoogeschäfts: In seinen Schaufenstern fristen Wellensittiche ihr tristes Käfigdasein.

Bürgersteige werden geschrubbt, später werden sie sauber hochgeklappt: Das ganze Elend provinzieller Samstagnachmittage erfasst schon die erste Kamerafahrt, immer entlang an schnurgeraden Bordsteinkanten. Ein Horizontalschwenk zeigt die Fassade eines Zoogeschäfts: In seinen Schaufenstern fristen Wellensittiche ihr tristes Käfigdasein. Dann zieht die Kamera noch höher, und mit ihr sehen wir durch die Fenster des ersten Stockwerks. Dort haben sich, Torten schaufelnd, Matronen versammelt, in künstlich angeheizter Aufregung über Dinge, die doch nie passieren werden. Doch zugleich im Nebenzimmer, unbemerkt von ihnen, verlässt eine sehr junge Mutter ihr Baby und zieht in die Welt hinaus.

Fünf Jahre später kommt Janna (Gruschenka Stevens) wieder, nun mit einem Mann. Sie schnappt ihren Sohn, den kleinen Lukas, der sich mühsam an Krücken vorwärts schleppt, packt ihn ins Auto, und schon ist die nun komplette Kleinfamilie wieder auf dem Weg in die Stadt. Der Mann heißt Janosch, trägt geflochtene Lederbänder und lange Haare und bunte Hemden und kifft. Während Janna hinter der Wursttheke im Supermarkt steht, betätigt er sich als Zuhälter, Zocker und Ziehvater.

Letzteres macht er gar nicht schlecht, vorläufig jedenfalls - denn Lukas lernt nicht nur laufen, sondern auch, das Leben zu genießen und lauter Männersachen. Die Beschäftigungen, denen Janosch sich neben der Kindererziehung widmet, bessern Jannas eher bescheidenes Einkommen auf und erlauben den dreien einen relativ aufwendigen Lebensstil. Es wird viel gelacht, sich ein wenig verkracht, und immer wenn die überforderte Janna wieder heulend zusammen bricht, sind Mann und Sohn gemeinsam bemüht, sie aufzurichten.

Weil Janosch ein großes Kind ist, muss Lukas ein kleiner Erwachsener sein - und weil Janosch dann doch eher tumb als gerissen ist, wird er irgendwann inhaftiert. Janna ist gerade wieder schwanger. Nach einem weiteren Zeitsprung von fünf Jahren sehen wir, wie Lukas sich liebevoll um die kleine Schwester kümmert, wie er die Mutter, die nun in einem Friseursalon arbeitet, bei ihrer Chefin entschuldigt, wenn sie mal wieder mit einem Kater im Bett liegt. Und dann muss der zu früh zum Erwachsensein gezwungene Junge auch noch den neuen Freund Jannas, den Bowlingbahnbetreiber Harry König, verschrecken. Noch immer hofft er, dass Janosch zurückkommt.

"Verschwinde von hier" ist ein Provinzfilm, wie man ihn lange nicht im deutschen Kino gesehen hat - selbst wenn es sich mal gerade nicht für die großen Schauplätze Berlin oder München interessiert. Auch die Großstadt, in die es Janna zieht, ist bloß Mannheim. Und das ist so langsam und gemütlich und südwestdeutsch, wie man es sich nur vorstellen kann. Da ist der langhaarige, lederbemantelte Janosch mit seinem unsteten Lebenswandel schon ein Freak und der Bowlingbahnbesitzer mit seiner vulgären Protzerei auch wirklich ein König, wie sein Name nahe legt. Und natürlich hat die provinzielle Janna keine anderen Träume als die auf dem Mist ihres Heimatdorfes gewachsenen: endlich verheiratet zu sein und dadurch womöglich den sozialen Aufstieg zu schaffen.

Ohne Ironie und ohne Denunziation erzählt der Film, Anfang des Jahres beim deutschen Nachwuchsfestival in Saarbrücken mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet, von den Ausbruchsversuchen einer Kleinbürgerin, die nichts anderes sucht als Sicherheit und Liebe und dabei wenig gibt, weil sie wenig hat. Gruschenka Stevens spielt diese Janna hektisch, zerfahren und chaotisch, eher aus- als angezogen, weil ihr Körper das einzige Kapital ist, das sie investieren kann. Lachen und tanzen muss sie ein bisschen zu viel; das ist eine Schwäche der Regie, die sich schwer tut, Momente der Ausgelassenheit zu visualisieren. Die wirkliche Entdeckung des Films aber ist Jonathan Beck, der den kleinen Lukas spielt. Unbefangen, süß und frech, lässt er höchstes Glück und tiefste Trauer empfinden. Und wenn er das Krokodil, das Lukas ihm geschenkt hat, ins Klo stopft, weil seine Mutter nicht mehr an den Liebhaber im Gefängnis erinnert werden will, dann muss man weinen, obwohl man es soll.Ab heute im Berliner Kino Moviemento

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