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Kultur: Großes Elend

Zwei Ausstellungen zum Thema Erwachsensein

Gibt es eine Bildsprache der Adoleszenz? Wo ganze Kunstmagazine von der Idee des Künstlers als Popstar leben, wäre dies zu erwarten. Aber Kunst ist nicht Popmusik, ein Werk soll letztlich doch mehr sein als ein Song. Gleichwohl arbeiten sich viele Künstler an adoleszenten Statements ab, ihre Sprache wechselt zwischen Expression und Analyse. Selten aber wird dieser Zwischenraum so akzentuiert wie in zwei aktuellen Berliner Ausstellungen.

„L’air solaire“ von Lutz Braun (Galerie Christian Nagel) und „Qu’est que c’est la maturité“ von Manuel Graf (Galerie Johann König) verbindet weit mehr als ihre französischsprachigen Titel. Beide beschreiben Entwicklungen, Verwandlungen ins Unbekannte. Wo Graf danach fragt, was Erwachsensein ausmacht, zeigen Brauns Bilder Verfall und Tod. Eine junge Frau hält eine Flasche in der Hand, das Gesicht ist violett angelaufen, der Arm und Teile des Körpers sind kobaltblau. Nichts auf diesem Elendsbild einer Party zu später Stunde wirkt gesund. Dass Braun sein Bild mit Acryl auf einen schief geschnittenen Teppich malte, verstärkt diesen Eindruck. Er wählt allerdings ständig neue Materialkombinationen, so dass seine Nachlässigkeit bald als wohlkonstruiertes Stilmittel erscheint. Der dezente Ekel angesichts fetter Acrylschichten auf Filzstoff ist geschickter Effekt wie jener neugierig sardonische Blick einer Kindfigur, die Wiedergängern in Puppengröße beim Entsteigen ihrer Särge zusieht. Andere Motive pflegen ebenso den Gestus des Drastischen, doch die Ausführung ist stets differenziert. Gleichwohl bleibt die Perspektive dem Mythos adoleszenter Differenz verbunden: Abwehr, Dissonanz und eine morbide Faszination prägen den Blick. Dass er die Künstlichkeit seiner Gesten offenlegt, ist eine der Qualitäten von Brauns Bildern.

Nichts annähernd Unmittelbares findet man im verdunkelten Raum der Galerie König. Manuel Graf fragt nach dem Erwachsensein mittels zweier Keramikobjektgruppen auf Sockeln und eines Trickfilms. Er beleuchtet zuerst im Walzertakt eine Gruppe von Vasen mit eher kümmerlichem Inhalt. Dann zeigt er, im Stil klassischer Stop-Motion-Kindertrickfilme, Entwicklung und Funktion einer seltsamen Maschine, die Obst dekorativ auf Holzstäbe spießt.

Auch hier gibt es Verfall, das Obst fault, fällt zu Boden. Grafs Arbeit orientiert sich nicht an rockiger Coolness, ihr Weg liegt in detailverliebter Exploration und Zitat. Brauns Destruktionen erwidert er mit einer Analyse der Konstruktion. Peter Cooks Buch über die architektonischen Pop-Utopien der Gruppe Archigram und Léon Kriers Architekturtheorie strukturieren seine Arbeit, die dabei nach universellen Grundsätzen fragt: Ist alles determiniert, oder gibt es eine Freiheit? Nur wenige vermögen diese durchaus adoleszente Frage so differenziert und verfeinert zu bearbeiten. Oliver Tepel

Galerie Christian Nagel, Weydinger Str. 2–4; bis 8.3., Mo–Fr 11–19 Uhr, Sa 11–18 Uhr / Galerie Johann König, Dessauer Str. 6–7; bis 16.2., Di–Sa 11–18 Uhr.

Oliver Tepel

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