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Großpop: Madonna klammert sich an ihren Thron

Mit ihrem neuen Album „MDNA“ will Madonna wieder ein Dance-Girlie sein. Das hat etwas Unwürdiges und ist ihrem Status als feministische Ikone eher abträglich. Es wird Zeit, dass Madonna wieder ein Vorbild wird.

Der Spaß ist ihr irgendwann abhandengekommen. Vielleicht hat sie es selbst gar nicht bemerkt, doch auf einmal war alles nur noch Arbeit, Arbeit, Arbeit. Sicher: Madonna hatte seit dem Tag, als sie aus ihrer Provinzheimat in New York ankam, ehrgeizig und fleißig für ihre Karriere geschuftet. Allerdings sah man ihr das sehr lange Zeit nicht an. Die ersten zwei Jahrzehnte ihrer Karriere waren von einer souveränen Leichtigkeit und Lässigkeit geprägt. Sie eilte von Hit zu Hit, tourte um die Welt und tanzte sich in den Rang der „Königin des Pop“ – ein Titel, den vor ihr niemand beanspruchen konnte.

Dass die Bürde dieses Amtes mittlerweile schwer auf ihr lastet, ist überdeutlich. Mit immenser Verbissenheit kämpft sie um ihren Thron. Gut zu sehen war das etwa auf ihrer „Sticky & Sweet“-Tour zum letzten Album „Hard Candy“. Bei den irre aufwendigen Shows wollte Madonna einzig und allein zeigen: Ich bin fit, ich habe es immer noch drauf, niemand kommt mir nahe. Dasselbe galt für ihren Halbzeit-Auftritt beim Superbowl, den kürzlich rund 118 Millionen Menschen sahen. Es war der Promo-Auftakt für ihr heute erscheinendes zwölftes Studioalbum „MDNA“.

Im leicht reduzierten Tanzmodus machte die 53-jährige Sängerin wieder eine gute Figur. Sie hatte geliefert, wie es im Leistungsgesellschaftssprech heißt. Nur nützen wird ihr das alles nichts. Denn entscheidend ist, dass sich der Blick auf Madonna verändert hat. Es ist nicht mehr das erwartungsfrohe „Mal-sehen-was-sie-sich-jetzt-wieder-ausgedacht-hat“, mit dem man einem neuen Album oder einer Tour entgegengefiebert hat, sondern nur noch ein „Hoffentlich-wird-es-nicht-peinlich“. Das ist für die Diva natürlich eine Katastrophe. Die Fans sollen nicht um sie zittern, sondern bewundernd zu ihr aufschauen.

Für Letzteres gibt „MDNA“ leider wenig Anlass. Es ist ein Dance-Album mit viel Wumms, das genau so klingt, wie solche Alben derzeit eben klingen. Die Bassdrum donnert Four to the Floor, hysterische Synthies zucken umher, und die Gesangsspur wird ordentlich zerhäckselt. Dementsprechend verzerrt ist Madonna auf dem Albumcover abgebildet. Der Einfluss des derzeit omnipräsenten französischen DJs und Produzenten David Guetta ist deutlich zu hören. Auch Anklänge an den maßgeblich von Skrillex geprägten Boller-Dubstep sind zu finden.

Mit „Girl Gone Wild“, der zweiten Auskopplung nach der nur aufgrund der Gastsängerinnen Nicki Minaj und M.I.A. zu ertragenden Single „Give Me All Your Luvin’“, eröffnet ein mitreißender Stomper das Album. Auf der Tanzfläche wird das Stück auf jeden Fall funktionieren. Produziert vom italienischen DJ Benny Benassi, passt er wie der Rest der Platte genau zur momentanen Klangmode. Mehr aber auch nicht. Und das ist das Problem: Madonna beherrschte einst die Kunst, Trends wie Voguing aus dem Untergrund in den Mainstream zu holen, beziehungsweise einen bereits angesagten Sound im richtigen Moment aufzugreifen, um ihm dann wie bei „Ray of Light“ einen spannenden eigenen Dreh zu geben.

Ähnliches gelingt Madonna, die rund 300 Millionen Alben verkauft hat, nun schon seit einer Weile nicht mehr. Ein besonders eindrucksvolles Dokument ihrer Orientierungslosigkeit war „Hard Candy“ (2008), bei dem sie mit Timbaland und Pharell Williams zusammenarbeitete. Die beiden Produzenten-Legenden hatten ihren Zenit damals gerade überschritten und hämmerten ihrer prominenten Kundin ein äußerst mittelprächtiges Album zusammen, das mehr nach ihnen als nach ihr klang.

Madonna kann ihre hohen Ansprüche nicht mehr erfüllen

Jetzt hat sich Madonna wieder mit ihrem alten „Ray of Light“-Weggefährten William Orbit zusammengetan. Er produzierte und komponierte bei sechs der zwölf neuen Songs mit. Manchmal schmuggelt er eine Gitarrenfigur oder einen Keyboard-Effekt ein, die an das Meisterwerk von 1998 erinnern. Besonders bei den beiden Balladen am Ende von „MDNA“ scheint seine Handschrift durch. Dominanter sind aber die Einflüsse der Houseproduzenten Benny Benassi und Martin Solveig. Deren Auftrag ist klar: Clubmusik. „I need to dance“ singt Madonna in „I’m Addicted“, einem weiteren knallig-pulsierenden Track, auf den das leicht an Daft Punk erinnernde Stück „Turn Up The Radio“ folgt. In der Mitte der Platte nimmt Madonna das Tempo ein bisschen zurück und gerät mit „Superstar“ auf extrem seichtes Terrain. Begleitet von einer gelangweilt heruntergeschrubbten E-Gitarre trällert sie: „Oh, la la, you’re my superstar/Oh la la, love the way that you are“. Marlon Brando, Cäsar, Michael Jordan und James Dean erwähnt sie – fast alles tote Männer, deren Ruhm schon lange zurückliegt. Sicher möchte sie dies, trotz der anhimmelnden Erzählperspektive, als ihre eigene Star-Ahnenreihe gelesen wissen. Zugleich ist es der einzige kleine Hinweis auf ihr Alter. Denn welche 20-Jährigen wissen eigentlich, wer Marlon Brando war? Ein „Girl“ – und als solches bezeichnet sich Madonna immer wieder in den Texten –, hätte sicher andere Namen gewählt.

Die Sängerin muss sich an den von ihr selbst sehr hoch gesteckten Ansprüchen messen lassen. Und so kann man nur festhalten: „MDNA“ wird in ihrer Diskografie unter „Sonstiges“ einsortiert werden. Dass sie immer noch ein gutes Disco-Album zustande bringt, hatte sie bereits 2005 mit „Confessions On A Dancefloor“ bewiesen. Hierhin wollte sie offenbar zurück. Doch rückwärts war eigentlich nie die Richtung der dynamischen Dame aus Michigan. Eine ihrer Stärken bestand immer in der Fähigkeit, sich zu wandeln. Weshalb es jetzt fast tragisch anmutet, wie sie versucht, das Tanz-Mädchen zu konservieren. Aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen ist schwer für Madonna. Denn ihre Selbstinszenierungen waren stets sehr körperbetont. Ob Marilyn Monroe, Domina oder Cowgirl – die muskulöse Sängerin setzte ihre Jugendlichkeit, Schönheit und Sexyness voll ein. Sie prägte das role model der selbstbestimmten, modernen Frau entscheidend mit. Für viele ist sie eine feministische Ikone. Diesen Status bringt sie mit ihrem inzwischen unwürdigen Girlie-Auftreten ernsthaft in Gefahr.

Angesichts ihrer Verdienste könnte sie sich zurücklehnen und dabei zusehen, wie sich der Nachwuchs an ihr abarbeitet. Denn jede Lady Gaga und jede Lana Del Rey wird auch in Zukunft an ihr gemessen werden. Sie selbst muss da gar nicht mehr mitmachen. Es ist Zeit, dass Madonna wieder ein Vorbild wird. Für Pop-Sängerinnen über 50, die sich nicht schämen, über 50 zu sein.

„MDNA“ erscheint bei Universal.

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