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Kultur: Grünen-Parteitag: Von oben runter

Es ist Dienstag dieser Woche in Washington D.C.

Von Hans Monath

Es ist Dienstag dieser Woche in Washington D.C. Siebentausend Kilometer entfernt von den Niederungen des heimischen Parteienzanks streift ein deutscher Politiker durch das Gelände des Franklin-Delano-Roosevelt-Memorials im Park am Ufer des Potomac. Zwischen Gesprächen mit US-Außenminister Powell und UN-Repräsentanten lässt sich Joschka Fischer inspirieren vom Geist des großen US-Präsidenten. Zufällig wird er Zeuge, wie eine Lehrerin ihrer Schulklasse vom Mut Roosevelts erzählt, der sein Volk erst dazu bringen musste, Hitler als Feind zu sehen, seine Gegner zu unterstützen und ihm den Krieg zu erklären.

Ein bisschen muss sich der deutsche Außenminister tatsächlich fühlen wie der Führer der Allianz gegen die Bedrohung der Welt durch das Nazireich - auch wenn er nicht Millionen von Amerikanern, sondern nur einige Hundert Grünen-Delegierte davon überzeugen muss, dass sie den unbequemen Kampf gegen das Unrecht nicht anderen überlassen dürfen. Auch Roosevelt hatte sich früh entschieden - und war der Mentalität der Mehrheit vor dem Kriegseintritt im Dezember 1941 weit voraus.

Wenn der deutsche Außenminister auf seine Partei schaut, mag er sich insgesamt bestätigt fühlen: Oft haben die Grünen - mit hohen Kosten und mit Verspätung - nachvollzogen, wozu Fischer sie gedrängt hatte. Zuallererst zu dem, was heute immer noch "Realpolitik" heißt und 1985 in Hessen mit seinem Amtsantritt als Umweltminister begann. Als Fischer wenige Jahre zuvor zur Partei stieß, war der Ex-Sponti noch nah am Puls der Szene. Doch die allmähliche Fortbewegung des machtbewussten Aufsteigers von den linksradikalen Ursprüngen liefert Stoff für Verratsvorwürfe bis heute.

Näher an Kohl als an Ströbele

Vergessen wird dabei gerne, dass Fischer sich keineswegs immer nur aus eigenem Antrieb zu neuen Zielen bekannt hat, sondern oft gedrängt werden musste - etwa beim Bekenntnis zur militärischen Intervention nach dem Massaker im bosnischen Srebrenica im Sommer 1995, bei dem ihm die Partei nicht folgte. Andere Grüne hatten das Dogma des Pazifismus früher zugunsten der Nothilfe für Völkermordopfer aufgegeben.

Aus dem Chefzimmer des Auswärtigen Amtes am Werderschen Markt in Berlin lässt sich die Welt schlecht nach dem Grundsatzprogramm der Grünen ordnen - und Fischer hatte nach seinem Amtsantritt 1998 schnell deutlich gemacht, dass von ihm keine "grüne", sondern deutsche Außenpolitik zu erwarten sei. In ganz anderer Weise als die Mehrheit seiner Partei denkt Fischer historisch - seine Lehren aus der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts sind denen Helmut Kohls weit näher als denen Hans-Christian Ströbeles. Und dann die Sachzwänge: Oft ist die Sprache des Ministers, der wie kaum ein Zweiter im Bundestag reden kann, verunstaltet von einer drögen Abfolge diplomatischer Floskeln, die keinem Parteifreund Freude machen.

Fischer, der seit dem 11. September wie ein Getriebener von Reise zu Reise hetzt, hält seine Partei für undankbar. Doch auch er hat seinen Anteil zur Entfremdung beigetragen. Das Vorantreiben hat Fischer nie aus der Partei heraus versucht. Von den Gremien aber erwartet er, dass sie seine Schritte nachvollziehen. Mit allem Einfluss, über den er verfügt, hat sich Fischer zwar immer bemüht, auch das Spitzenpersonal und die Organisation der Partei zu formen. Doch stand er nie bereit, als Parteichef die Kärrnerarbeit politischer Vermittlung zu leisten.

Es sind zwei Welten: Während andere Grüne am Freitag an ihren Reden und Anträgen für den Parteitag feilten, absolvierte Fischer in Nantes gerade den 78. deutsch-französischen Gipfel. Am heutigen Samstag treffen die Basis und ihr Star aufeinander - in der Ostseehalle.

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