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Kultur: Grüß Gott, Herr Schimmerlos

Getan ist getan, gelebt ist gelebt: ein Nachmittag mit Franz Xaver Kroetz, der ein neues Buch geschrieben hat und 60 wird

Man erkennt ihn kaum, den Kroetz, wie er durch den sich in der Luft quer legenden Schnee hinüber stapft aus dem Haus der Kunst in München und endlich in die Bar hinein rumpelt, aufstampfend und Flocken abschüttelnd, mit schweren Stiefeln an den Haxen, richtiggehenden Knobelbechern. Kroetz trägt sich widerborstig im Gesicht, neuerdings mit Brille (Gucci), ist aber von Anfang an die Freundlichkeit selbst. Schon hockt er da und streichelt den Haushund, ein Knäuel weißer Schmusewolle mit einer lachsrosa Zunge mittendrin – „ja, was willst denn du, Schnuckiputz?“

Kroetz möchte einen Apfelkuchen, einen Kaffee und einen Wodka, weil er ein wenig verkühlt ist. Die Kellnerin will die Marken herunterbeten. Kroetz sagt: Smirnoff. Ganz klar. Die Kellnerin schaut ihn an, als dächte sie darüber nach, ob der Mann mit dem Schnauzer prominent ist. Das geht vielen Leuten so. Die meisten kommen dann drauf, wenn sie sich das jetzige Kurzhaar lang, minipligelockt und vor allen Dingen gelbblond denken. Marlboro im Mundwinkel, die Augen zu Sehschlitzen gekniffen und immer einen Fluch auf den Lippen: Das ist (war) Baby Schimmerlos, Boulevardreporter der Zeitung „MATZ“ in Helmut Dietls Serie „Kir Royal“ – an der Seite von Senta Berger, Dieter Hildebrandt und Mario Adorf.

Adorf, der in Babys Klatschkolumne will, hat da diesen Satz: „Ich scheiß dich zu mit meinem Jeld.“ Das sei ganz groß gewesen, erzählt Kroetz später an diesem Nachmittag, und es ist ihm „null peinlich, aber null“, wenn einer zu ihm sagt: „Grüß Gott, Herr Schimmerlos!“ Das passiere dauernd. Und er mag es auch. „Wenn der Helmut wieder was schreibt, bin ich dabei!“, sagt Kroetz.

Andererseits kommt er ins Grübeln, ob überhaupt noch einer den Münchner Theatermann Kroetz kennt. Jahrgang 1946, Einzelkind („mei Mama immer in Angst – Franzl dies, Franzl das, Franzl, pass bloß auf“) und bereits mit 15 Jahren auf der Schauspielschule in Wien, ein Überflieger: „Ich habe 1966 schon Kagel, Berio, Ligeti gekannt, ich hab Joyce und Yeats und Beckett verehrt, es war doch alles viel komplizierter, als es derzeit veröffentlicht ist“, hat Kroetz einmal im Rückblick auf allerfrüheste Prosa und erste Stücke (von mittlerweile über 60) geschrieben. So steht es im Tagebuch aus den achtziger Jahren. Schon damals weiß der Dramatiker nicht mehr, wie viel Material er bereits verbrannt hat, „in der Verzweiflung und im Suff“. Doch bleibt genug übrig, um die Republik theatralisch unter Dauerstrom zu setzen: mit „Wildwechsel“, „Agnes Bernauer“, „Furcht und Hoffnung der BRD“, „Nicht Fisch, nicht Fleisch“, „Bauern sterben“, zuletzt „Ende der Paarung“. Es ist seltsam, dass die heutigen Bühnen davon fast nichts mehr wissen wollen, denn als Kroetz die Zeit hinter sich hatte, während der sein Personal regelmäßig zu klein war für die Tragödien, denen er es unerbittlich aussetzte, wurde er auf seine Art vernünftig.

Und überzeugender. Er suchte nach Kompromissen für seine Figuren und schaute, dass sie sich am eigenen Schopf aus dem allgemeinen Sumpf zögen. Diese Art von politischem Theater aber ist lange tot. „Aus, vorbei“, sagt Kroetz, lacht bitter, reckt den Mittelfinger der rechten Hand hoch und haut mit der linken dagegen. Die können ihn alle mal, „diese Scheißer“, jedenfalls die allermeisten. Kroetz wird am 25. Februar 60 Jahre alt. Eher ungern, sechzig, das sei „so zaach“. Zaach kann so ziemlich alles bedeuten, was kein Bayer jemals sein möchte. Er wäre lieber noch einmal 43, sagt Kroetz. Damals hatte er die zehn Jahre als Mitglied der DKP hinter sich und die Tätigkeit als Kolumnist für „Bild“ noch vor sich. In den „Gedichten eines Lebendigen“ steht unter der Überschrift „Kroetz“: „Wenn ich/ihn spiele/den Kroetz/bin ich/ganz gut/aber wie/elend bin/ich es.“

Kroetz kann sich nicht recht erinnern, dass er das einmal geschrieben hat. Er haut ja seine Sachen einfach raus, das war schon immer so, von Schreibblockaden abgesehen. Da entsteht dann ein Drang vor der Maschine, wo man die Tasten noch „richtig schön knallen“ lassen kann, wie Schüsse. Schreiben als Handwerk, aber wer weiß da noch genau, was vor Jahren einmal fabriziert worden ist. Gerade hat sein Verlag „15 ungewaschene Stories“ veröffentlicht, der Titel ist der schiere Reißer: „Blut & Bier“. Kroetz hat „nichts, gar nichts redigiert“, und er war eigentlich glücklich (jung verheiratet, frischer Vater), als die Geschichten geschrieben wurden, die sich nicht eben entspannt lesen: Da steht nämlich der Dichter vor dem Spiegel, rekapituliert die horrenden Leberwerte, betrachtet sein kalkiges Gesicht und fürchtet, dass gleich wieder der „Depressionshammer“ zuschlägt. Stattdessen kommen die Töchter vom Pool zum Umziehen hoch: „sechs Titten, drei Ärsche, drei Mösen“, und die eine fragt: „Hast du wenigstens was geschrieben, wenn wir uns schon den ganzen Vormittag an dem Scheißswimmingpool und dann in dem Scheißkaff rumtreiben, nur damit du schreiben kannst?“ Gott sei dank hat er was geschafft, der Dichter. Heißt’s.

Das sei natürlich nicht er, sagt Kroetz, aber selbstverständlich haben ihm die „Dreckszeitungen“ die Fiktion vorgehalten, als es jüngst darum ging, dass der lange Jahre mit Marie-Theres Relin verheiratete Kroetz sich von der Familie mit drei Kindern trennte. Und das wundert ihn? Das wundert ihn. Wundert ihn wirklich. „Denk doch nach, das ist doch nicht so schlimm, verdammt ich hab doch eh nur deine Mutter gefickt und nicht was Echtes“, sagt der Dichter in den „Stories“ zu seiner Frau. Rehlins Mutter war Maria Schell. Es wundert Kroetz trotzdem. Ist ihm aber wurst: „Jeden Tag muß/ich mir ein Skelett bauen/der Vernichtung/an dem ich mich/ festhalten kann“, steht im Gedicht. Im Übrigen redet Franz Xaver Kroetz sehr liebevoll von seinen Kindern. „Blut & Bier“ ist seiner Frau gewidmet.

Von Heiner Müller gibt es über Ernst Jünger den etwas spitzen Satz: „Er ist froh, dass er noch stört“, und ein wenig von diesem Bewusstsein findet sich auch bei Kroetz wieder. Peter Handke und Botho Strauß, die Altersgenossen, haben sich ihr Leben als Kunstwerk eingerichtet. Kroetz gehört eher in die Tradition der großen, früh gestorbenen Querständigen. Fassbinder, Thomas Brasch, Martin Sperr, Hans Brenner heißen seine ästhetischen Zeugen. Also, immer heraus mit der Wahrheit, auch wenn es schmerzt. „Ich bin jetzt der Methusalem“, sagt Kroetz. Was ihm zu gefallen scheint.

Mit München hat er seinen Frieden gemacht. Er wohnt jetzt wieder daheim, im Haus der Eltern in Pasing. Im Augenblick inszeniert er die Uraufführung von Jörg Grasers Stück „Servus Kabul“, Kroetz hat lange überlegt, wie. Grasers Stück ist böses Kabarett, wo nicht nur die Sexpuppe Gina abgestochen wird, sondern am Ende auch der niederbayerische Gastwirt Boder seine vorher in Afghanistan requirierten drei Frauen als Leichen im Koffer wieder via Kabul entsorgt. Kroetz macht ein Kasperltheater draus, und schaut mit einer gewissen Genugtuung auf die monströse rote Riesenbude, die ihm sein Bühnenbildner ins Haus der Kunst gesetzt hat.

Irgendwie ist der Kroetz jetzt wieder da angekommen, wo er einmal losgegangen ist: beim Volkstheater. Ende der sechziger Jahre hat er am Tegernsee an der Ludwig-Thoma-Bühne den Uraltschwank „Hilfe, ich werde geheiratet“ eingerichtet, es war also alles eine Spur derber, direkter und unverfrorener als gewohnt. Demnächst wird Kroetz eine Sammlung von Einaktern fürs Bayerische Staatsschauspiel einrichten, die er gegen (und über) das Fernsehen geschrieben hat, wo den „Menschen auf sechzig Programmen das Rückgrat zerhackt werden soll“, da kriegt er einen Koller, dass die halbe Wirtschaft sich nach ihm umdreht. Er hat viel bleibend Böses gemacht, sei’s drum: „Getan ist getan und gelebt ist gelebt. Und das ABC lernt man nur einmal.“

Seine Raimund-Inszenierung von „Der Bauer als Millionär“ ist immer ausverkauft. Kritiker schrieben, Kroetz werde jetzt langsam niedlich. Kroetz hebt den Mittelfinger. Feuilletons, viele „arrogante Scheißer“, und sie haben keine „Haltung mehr“. Manchmal vermisst er tatsächlich welche von denen, die ihn früher oft gevierteilt haben. Aber jetzt hat er Probe. Kroetz schaut auf den Hund: „Servus, Schnuckiputz.“

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