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Kultur: Gruppenbild mit Hot Dog

Der Maler, der die Pop-Art ins Museum brachte: Roy Lichtensteins klassisches Werk wird in Kopenhagen und Wien ausgestellt

Diane Waldmans großformatiges Buch zu Roy Lichtenstein war 1971 eine der ersten wirklich gewichtigen Publikationen zur Pop-Art. Lange Zeit gab es nichts Besseres über diesen Künstler. Erst der Katalog der Lichtenstein-Retrospektive 1994/95, die in München und Hamburg Station machte, übertrifft das Buch an Ausführlichkeit – und stammt aus derselben Feder.

Lichtenstein war stets so etwas wie der Grandseigneur der Pop-Art. Wo andere auf Massenproduktion und Anonymität setzten, blieb er bis zu seinem Tod im Alter von 73 Jahren im Oktober1997 ein geradezu traditioneller Maler. Nie hat er das Staffeleibild aufgegeben, in welchen Formaten er auch arbeiten mochte; nie auch hat er die herkömmliche Vorbereitung eines Gemäldes durch die Zeichnung überschlagen. Während sich bei Warhol die Nachlassverwalter um die Authentizität einzelner Bilder raufen, gibt es bei Lichtenstein stets das originale, auratische Einzelwerk – und den zugehörigen Reflex in Gestalt astronomischer Marktpreise.

Zum Traditionellen der Malweise Lichtensteins passt sein berühmtes Wort vom „Klassizismus eines Hot Dog“, mit dem er die Wahl banaler Alltagsobjekte als Bildmotive begründete. Die Pop-Art, so der Künstler, sei entstanden, um „ihre Umwelt zu akzeptieren, die weder gut noch schlecht, sondern einfach anders“ sei. Insofern ist Lichtenstein stets ein realistischer oder besser: naturalistischer Maler geblieben, dessen Neugier auf die Welt dem Wunsch nach deren malerischer Repräsentation vorangeht. Freilich, es handelte sich immer um das massenmedial verformte Bild der Welt: die Klischees der Werbeanzeigen und Comic Strips – im Grunde der Bildvorrat eines Lesers von Boulevardzeitungen. Der Kunstkritiker David Sylvester rief Lichtenstein bereits 1963 zum „Erben Chardins und Poussins“ aus und setzte noch drauf: „Französischer Klassizismus“.

Das muss damals natürlich als Provokation geklungen haben, zumal in der frankophilen Kunstwelt Amerikas und zu einem Zeitpunkt, als die Banalität der Alltagsdinge noch nicht salonfähig war. Tempi passati! Heute, wo die Ära der Pop-Art bereits einem vergangenen Jahrhundert zurechnet, feiert Lichtensteins Kunst Triumphe im Museum. Auffällig ist das Interesse, das nach der Zäsur der großen Retrospektive der Mittneunzigerjahre jetzt neuerlich dem Œuvre des Künstlers entgegengebracht wird. Während im edlen Louisiana Museum, diesem Refugium der klassischen Moderne in Humlebæk nördlich von Kopenhagen, die Ausstellung „All about Art“ den Beginn ihrer Tournee erlebt, zieht seit Dezember das bankfinanzierte Ba-Ca Kunstforum in Wien gleich. An beiden Orten sind jeweils rund 50 Gemälde sowie eine Fülle von Zeichnungen, in Wien darüber hinaus Grafiken zu sehen.

Es ist gar nicht einfach, Lichtenstein-Werkübersichten zusammenzustellen. Seine besten Werke – und man staunt, wie viele „beste“ Werke dieser Maler geschaffen hat – sind auf die großen Museen der USA verteilt und zählen zu den Eckpfeilern ihrer Dauerpräsentationen. Allerdings gibt es vieles in privater Hand – Spiegelbild der Aufmerksamkeit, mit der die großen Händler der Pop-Art und ihre finanzkräftigen Kunden die Arbeit des Künstlers seit dessen Premiere bei Leo Castelli 1962 stets verfolgt haben.

Beide Ausstellungen, in Humlebæk wie in Wien, beruhen vor allem auf Leihgaben aus Privatbesitz. So ergibt sich die Gelegenheit, über den mehr oder weniger bekannten Museumsbestand hinaus – in Deutschland ist vor allem das nach seinem Großsammler benannte Museum Ludwig in Köln zu nennen – herausragende Arbeiten des Künstlers in Augenschein zu nehmen. Dass allerdings auch da die Auswahl nicht unbegrenzt ist, machen die beiden wichtigen Tafeln „Große Zwirnrolle“ von 1963 und „Compositions II“ – der Umschlag einer Schulkladde – aus dem darauffolgenden Jahr deutlich: Beide gehören der Sammlung der Galeristin Ileana Sonnabend. Sie sind in Wien zu sehen, werden danach aber die im Louisiana begonnene Wanderausstellung ab London bereichern.

Die frühen Arbeiten stechen heute als Ikonen des Pop heraus. Lichtenstein hat zum einen die Helden der Comic Strips monumentalisiert, indem er die aus Liebeskummer weinenden Blondinen ebenso wie die todesmutigen Kampfflieger im entscheidenden Augenblick ihrer jeweiligen Geschichte isoliert und vergrößert hat. So wurden denn die zugehörigen Sprechblasen und Handlungsanrisse wie etwa „We rose up slowly“ oder „M–Maybe he became ill“ zu geflügelten Worten der Pop-Kunst. Beide Ausstellungen warten übrigens mit jeweils einem der beiden Hauptstücke der erstaunlich zahlreichen Kriegs-Comics auf: dem Diptychon „Whaam!“ und der dreiteiligen Arbeit „As I opened fire“, die beide in den malerischen Möglichkeiten der in unmodulierten Farben dargestellten Flammen aus Geschützen und Explosionen schwelgen.

Lichtenstein hat, darin auf immer dem billigen Zeitungsdruck der Strips verpflichtet, ausschließlich mit reinen Farben gearbeitet, ein jedes Feld säuberlich von einem schwarzen Rand umrahmt. Oder er hat mit den berühmten „dots“, den Rasterpunkten, die er anfangs noch per Hand, später mit Schablone auf die Leinwand auftrug. Und doch sind seine Vergrößerungen von Strips und Objekten – die ihrerseits stets das gedruckte, vereinfachte Abbild anspruchsloser Konsumreklame zum Vorbild haben – nicht einfach nur Maßstabswechsel. In der Großform der überaus sorgfältigen, von jeder peinture freien Gemälde wächst den banalen Objekten eine selbstverständliche Würde zu, die sie – ohne jeden kritisch-abwertenden Beigeschmack – tatsächlich zu jenem Ausdruck „unserer“ Zeit erhebt, als die die Pop-Art auf dem Höhepunkt ihrer Wirkungsmacht Ende der sechziger Jahre gefeiert wurde.

Die Vermeidung jeglicher Handschrift hat Lichtenstein zur ironischen Nachahmung der gewaltigen Pinselstriche der Generation vor ihm, der Abstrakten Expressionisten New Yorks geführt: Die „Brushstrokes“ sind ironische Verfremdungen jenes Individualitätskultes. Im Spätwerk dann begann der Künstler, hinter dessen reiner Farbfreude stets – und mit zunehmendem Alter immer deutlicher – ein Melancholiker versteckt blieb, sich selbst und sein Milieu zu zitieren. Die Serie der „Interiors“ bildet die Wohnzimmer seiner New Yorker Upper-Middleclass-Klientel ab, mit Designersofa und lichtensteinmäßigen Gemälden an der Wand: Kunst als geschlossener Lebenszyklus. Es versteht sich, dass der Künstler selbst von der Wiege an in Manhattan gelebt hat, einschließlich des späteren (Erfolgs-)Ateliers auf Long Island.

Schade nur, dass die beiden Ausstellungen getrennt bleiben. Beide sind reich an Höhepunkten, beide bleiben den ganzen Lichtenstein jedoch notwendigerweise schuldig. Gleichwohl bietet jede für den deutschen Besucher weit mehr, als hierzulande von diesem „Klassiker des Comic Strip“ zu sehen ist.

Humlebæk, Louisiana Museum, bis 18. Januar, Katalog 40 €. – Wien, Ba-Ca Kunstforum, Freyung 8, bis 7. März, Katalog 29 €.

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