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Kultur: Guck mal, wer da guckt

Eine

von Jan SchulzOjala

Der Filmkritiker ist ein schizophrenes Wesen. Bei kleinen und auch mittleren Filmen sonnt er sich mitunter in dem Gefühl, mit seiner Arbeit zumindest eine Art Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg zu haben. In Sachen Blockbustern dagegen hält er es mit dem französischen Kritiker André Bazin, der schon 1958 wusste: „Filmkritik ist ungefähr, wie von einer Brücke herunter ins Wasser zu spucken.“

Dieser Tage streichelt der US-Verleih UIP das Selbstverständnis der Filmkritik. Das Großfilmwarenauswurfunternehmen, das sich beim Publikum ohnehin unmittelbar via Werbung und Kopien-Hundertschaften durchsetzt, hat vor dem Start von „Krieg der Welten“ aus Nervosität angesichts des bislang katastrophal schwachen Kinojahrs der gesamten Filmkritik einen Maulkorb umzuhängen versucht. Soviel ist jetzt schon klar: Die Sache ist gründlich schief gegangen.

Ginge es nach dem Verleih, dürfte die nebenstehende Kritik erst zum morgigen Filmstart erscheinen. Wie berichtet, hat UIP alle deutschen Kritiker per Unterschrift an diesen Termin zu binden gesucht. Doppelt dumm: Zunächst bringt man mit derlei Nötigung die gesamte Branche gegen sich auf. Andererseits begibt man sich damit des Werbeeffekts, dass der Film eine ganze Woche vor dem entscheidenden Startwochenende durch die Medien wandert – von den Wochen- über die Sonntagszeitungen und die Montags-Magazine bis zur Tagespresse.

Dass unsere Kritik bereits heute erscheint, hat die üblichen redaktionellen Dispositionsgründe. Nebenbei sei der Schluss erlaubt, dass diese Zeitung sich Veröffentlichungstermine von niemandem vorschreiben lässt. Den Maulkorb des Verleihs mit einem Kritik-Boykott zu beantworten, wie dies manche Kollegen tun, erschiene uns übertrieben. Brückespucken hin oder her: Unsere Leser sollen erfahren,was wir von diesem massenwirksamen Film denken.

Die monomanische US-Verleihaktion aber, die nun hoffentlich hilfreiche alteuropäische Antworten provoziert, lenkt den Blick auf ein weiteres Ärgernis. Die Panik der derzeit gebeutelten Filmindustrie vor Raubkopierern kriminalisiert einen ganzen Berufsstand. Bevor Filmjournalisten bei Pressevorführungen ihre Arbeit aufnehmen können, werden sie mittlerweile auf eine Weise gefilzt, die es bald mit Methoden der Drogenfahndung aufnehmen kann. Hinnehmbar erscheint noch, dass Handys und Taschen abgegeben werden müssen. Dass die Vorführungen neuerdings aber mit Infrarotkameras überwacht werden, geht zu weit. Mit solchen Methoden zerstört die Filmindustrie einen Grundkonsens mit der Kritik: dass es zur Orientierung der Zuschauer sinnvoll ist, Filme vorab der Fachpresse zu zeigen. Egal ob eine Hymne oder ein Verriss dabei herausschaut.

Und wenn die Verhältnisse sich bald so verhärten, dass die raubkopieverdächtigen Blockbuster gar nicht mehr vorab gezeigt werden? Dann schadet die Filmindustrie sich womöglich mehr, als sie es heute wahrhaben will. Die neuesten Nachrichten sind widersprüchlich. Bei der gestrigen letzten Pressevorführung von „Krieg der Welten“ ließ UIP auch Kritiker zu, die die ominöse Unterschrift verweigerten – ein Hinweis darauf, dass etwas in Bewegung kommt. Andererseits drohte Warner Brothers soeben zur Pressevorführung von „Die Hochzeits-Crasher“ nicht nur die Überwachung des Kinosaals, sondern regelrechte „Leibesvisitationen“ an. Um noch einmal mit André Bazin auf der Brücke zu stehen: Dafür ist uns sogar unsere Spucke zu schade.

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