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Günter Grass und seine Verdrängungsarbeit: Das hört nie auf

Ob im Briefwechsel mit Willy Brandt, dem Buch "Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus" oder der Novelle "Im Krebsgang": Überall stößt man in Günter Grass' Büchern auf das Umkreisen und Umschreiben seines Waffen-SS-Makels.

Die Aufregung währte nur kurz, als Anfang Mai der Briefwechsel von Willy Brandt und Günter Grass herauskam. In einer Woche wurde das von Martin Kölbel herausgegebene, über 1200 Seiten fassende Buch landauf, landab besprochen und das war es, nicht einmal für die Top 20 der Sachbuchcharts hat es gelangt. Was vielleicht daran liegt, dass Brandts 100. Geburtstag erst im Dezember ist und Erinnerungen an ihn wie die seines Mitstreiters Egon Bahr verlockender sind als der Brandt-O-Ton in den ja sowieso nicht so vielen Briefen an Grass. Und im Fall von Grass dürfte es eine gewisse Müdigkeit sein, sich schon wieder mit ihm auseinandersetzen zu müssen – und die Tatsache, dass dieser Briefwechsel schon Grass-Geschichte ist. Die aber nun stets vor dem Hintergrund seines Waffen-SS-Bekenntnisses studiert werden muss. So war dann auch nicht einer der Grass-Briefe an Brandt, sondern an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller einer der meisterwähnten in den Besprechungen, Grass’ Aufforderung an das einstige SA- und NSDAP-Mitglied Schiller, „über Ihre politische Vergangenheit während der Zeit des Nationalsozialismus offen zu sprechen“. Denn: „Es wäre für Sie eine Erleichterung und gleichfalls für die Öffentlichkeit so etwas wie die Wohltat eines reinigenden Gewitters.“

Grass selbst, wir wissen es, hat sich diese Erleichterung erst spät verschaffen können. Er glaubte „mit dem, was ich schreibend tat, genug getan zu haben“, wie er 2006 der „FAZ“ erklärte. „Aber es blieb dieser restliche Makel“. Und genau den umkreiste er letztendlich in vielen seiner Bücher: sich beruhigend, sich etwas vormachend, verdrängend.

Ganz verblüfft ist man, wenn man zum Beispiel ein Grass-Buch wie „Die Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus“ liest. Dieses beruht auf einer China-Reise von Grass, ist eine Mischung aus Journal und angedeuteter Fiktion und hat die Vergangenheit immer im Blick. Im zweiten Kapitel erwähnt Grass Schriftsteller, die im Nazi-Deutschland blieben (Eich, Huchel, Koeppen, Kästner): „Ich will nicht urteilen. Ein fragwürdiger Glücksfall, mein Jahrgang, 1927, verbietet mir den Stab brechende Worte. Ich war zu jung, um ernsthaft geprüft zu werden.“ Dann erwähnt er seinen Text für eine HJ-Zeitschrift, der allein wegen seines Inhalts keinen Preis bekommen konnte: „Also bin ich fein raus. Also belastet mich nichts. Keine Fakten sind greifbar.“ Und schließlich stellt er sich vor, er wäre zehn Jahre vorher geboren worden, hätte durchgängig am Krieg teilgenommen und wäre dann entnazifiziert worden, unter der Annahme „der neuen, kargen und kalorienarmen, der pazifistischen bis antifaschistischen Inhalte (...); wie es geschehen ist laut hundert mehr und mehr Biografien.“ Eine „Stunde Null“ aber, fasst er zusammen, habe es nie gegeben: „Trüb fließend waren die Übergänge.“

Nicht nur einmal datiert Grass sein Geburtsdatum in den „Kopfgeburten“ zurück. Ihn „treibt“ da „der Schweiß“, als er sich vorstellt, wie ihm „Gedichte zu Führers Geburtstagen und Hymnen auf dorische Säulen“ gegenwärtig seien. Aber auch „Partisanenerschießungen, die mich stumm machen, und die Liquidierung eines ukrainischen Dorfes, das ich geduckt im Schnee vor mir sehe, kurz bevor wir es ausräuchern: laut Befehl ...“

Auch Grass’ Gustloff-Novelle von 2002 liest sich im Nachhinein, als ginge es Grass nicht nur um das Elend ostpreußischer Flüchtlinge, sondern auch um den Kampf mit der eigenen, nicht mehr so gut funktionierenden Verdrängung. Grass hat sich als Figur mit in den „Krebsgang“ eingeschrieben: als „der Alte“, der seinen eigentlichen Erzähler instruiert, „der alte Mann, der sich müde geschrieben hat“, der sein „Versagen“ bedauert, der zugibt, „dass er gegen Mitte der sechziger Jahre die Vergangenheit sattgehabt“, ihn „die gefräßige, immerfort jetztjetztjetzt sagende Gegenwart“ fest im Griff gehabt habe.

Auch von „ängstlich gehüteten Geheimnissen“ ist einmal die Rede, von der Angst vor „Bloßstellung“. Und die Novelle endet mit den vielsagenden Worten: „Das hört nicht auf. Nie hört das auf.“ Was visionär ist – und die Tragik dieses beeindruckenden Schriftstellerlebens auf den Punkt bringt: Für Grass hat es nach seiner SS-Offenbarung 2006 bis heute nicht aufgehört.

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