zum Hauptinhalt

Kultur: Gütersloh ist überall

Die Modernisierung der Gesellschaft kommt, wenn überhaupt, nur langsam voran.Die Verkrustungen erweisen sich einstweilen als stärker.

Die Modernisierung der Gesellschaft kommt, wenn überhaupt, nur langsam voran.Die Verkrustungen erweisen sich einstweilen als stärker.Gerade deshalb verbreitet der Wandel im kleinen und von unten einen besonderen Charme.Im unmittelbaren Lebensumfeld läßt sich ein Konsens leichter bewirken als im Gesamtgefüge der Gesellschaft und ihrer organisierten Interessen.

Jedoch: Selbst im kommunalen Bereich sind Neuerungen kaum noch zu erreichen.Den Gemeinden ist von Gesetzes wegen eine Vielzahl von Lasten auferlegt, über die zu befinden ihnen verwehrt bleibt, die zu prüfen folglich die Verursacher auf Bundesebene wenig Interesse zeigen, weil sie die Folgen allenfalls mittelbar zu spüren bekommen.Die Fehlannahmen einer auf der alleinigen Hoffnung steten Wachstums beruhenden Politik zeigen sich in den Kommunen am schmerzlichsten.Gesetzliche Leistungen fressen die Etats auf, denen der Wandel der Wirtschaft die Zuflüsse versiegen läßt.Was als Einschränkung kommunaler Leistungen vom Bürger wahrgenommen wird, ist die Folge solcher Disparität, in der ein Zusammenhang zwischen Steuerlast und nutzbarem Angebot für den Einzelnen auch auf der Ebene des alltäglichen Lebens nicht mehr zu erfahren ist.

Was tun? Den großen Zusammenbruch der Städte und Gemeinden wird es gewiß nicht geben, den Wiederaufstieg nach langer Talsohle aber ebensowenig.Der fällige Umbau wenn schon nicht des Wirtschaftssystems, so doch der eigenen, an Arbeit, Entlohnung und (entgeltlichen) Konsum geknüpften Wertvorstellungen beginnt auf der kommunalen Ebene.Eigenverantwortung, gemeinnützige (Mit-)Arbeit und nicht zuletzt freiwillige Geldleistungen sind gefragt - Bürgertugenden ältester Art, denen sich neben anderen die Organisationsform der "Bürgerstiftung" als dauerhaftes Vehikel anbietet.Wie so viele Anregungen aus dem Bereich des "Dritten Sektors", des Tätigkeitsfeldes neben Staat und Wirtschaft, stammt die Idee der Bürgerstiftung aus den Vereinigten Staaten.Unter dem präziseren Namen community foundation ist diese Form bürgerschaftlichen Engagements seit langem verbreitet, erlebt aber seit zwei Jahrzehnten besonderen Aufschwung.

Mit den Ausprägungen einer zukünftigen Bürgergesellschaft - wie die civil society gleichfalls aus den USA zu uns gekommen ist - beschäftigt sich hierzulande besonders die Bertelsmann-Stiftung.Unlängst veranstaltete sie eine Tagung unter dem Titel "Die Rolle von Bürgerstiftungen in der Gesellschaft", die vordringlich der Information über das amerikanische Modell diente - und am Rande auch das zarte Pflänzchen eines deutschen Nachfolgers, die "Stadt Stiftung Gütersloh", zu Wort kommen ließ.

Wie so häufig, nahm auch diese Tagung ihren Gegenstand für selbstverständlich und behandelte das Wie, aber kaum noch das Warum.Das Wie ist sicherlich interessant genug; und unter der Maßgabe, die Verbreitung des Stiftungsgedankens hierzulande fördern zu wollen und entsprechend Vertreter hiesiger Stiftungen oder Gründungsvereine zu Gast zu haben, war das geballte Informationsangebot der amerikanischen Redner nachgerade optimal.Das Warum indessen, die Frage, inwiefern sich Bürgerstiftungen in das bundesdeutsche Gefüge der Kommunalpolitik und der staatlichen und quasi-staatlichen Zuständigkeiten einfügen und ein spezifisches Tätigkeitsfeld finden können, blieb ungestellt.Denn bevor sich eine solche Stiftung gründet - die sich, wie der Name sagt, von anderen Formen des Engagements wie Bürgervereinen oder Bürgerinitiativen grundlegend unterscheidet -, sollte die Nachfrage bezeichnet sein, der eine solche Stiftung als bis dahin fehlendes Angebot gegenübertreten könnte.

In den USA ist der Entstehungsprozeß ein anderer.Die community foundations fügen sich in das weite Spektrum der Philantropie ein, die jenseits des Atlantiks eine ganz unvergleichlich ausgeprägtere und machtvollere Tradition besitzt als in den meisten Ländern Europas.Es ist also Geld vorhanden, das kanalisiert und fruchtbar gemacht sein will; und Stiftungen sind das Organisationsmodell, das Vermögenswerte auf Dauer dem vom Stifter gewollten Zwecke nutzbar macht und also die Verstetigung eines "philantropischen Antriebs" darstellt.Neben präzis definierte Stiftungen im sozialen, wissenschaftlichen oder kulturellen Bereich sind vor Jahrzehnten erstmals kommunal ausgerichtete Stiftungen getreten, deren herausragendes Merkmal die geographische Begrenzung ihres Wirkungskreises bildet, während die Ziele und Zwecke der unterstützungsfähigen Aktivitäten typischerweise ausgesprochen weit gespannt sind.

547 community foundations gab es 1997 in den USA.Ihr Stiftungsvermögen beträgt insgesamt 21 Milliarden Dollar; jährlich erhalten sie 2,4 Milliarden Dollar an Spenden und Zustiftungen, während sie selbst 1,25 Milliarden Dollar an Zuwendungen ausschütten.Typischerweise sind diese Stiftungen nicht selbst tätig, sondern fördern Projekte.In einer für Europäer ganz ungewohnten Weise arbeiten sie - wenn man so will - als Finanzdienstleister: Sie bündeln gestiftetes Kapital und realisieren parallel dazu spezifische Wünsche, also Zustiftungen zu bestimmten Zwecken."Man spendet nicht an eine Stiftung, sondern durch eine Stiftung", pointierte Elan Garonzik von der Mott Foundation, mit der gemeinsam die Bertelsmänner die Tagung vorbereitet hatten.

So viel Enthusiasmus - und mehr noch Professionalität - aus den amerikanischen Vorträgen sprach, so deutlich werden doch zugleich die Grenzen und Gefährdungen gesehen.Lewis Feldstein, der eine foundation im beschaulichen Bundesstaat New Hamsphire leitet, aber zugleich an der Harvard-Universität tätig ist und die Rhetorik des free enterprise kennt, machte auf den sinkenden Anteil des Gesamtvermögens aller Stiftungen am Bruttoszialprodukt aufmerksam.Man wird darin unter anderem eine Folge der rasanten Umstrukturierung der Wirtschaft zu erkennen haben, in der das Ideal des "guten Nachbarn" immer stärker gegenüber kurzfristigen Profitinteressen - Stichwort shareholder value - den Kürzeren zieht.Die weit tiefer reichende Frage, inwieweit institutionalisierte Formen der Wohltätigkeit mit den sozialen und demographischen Veränderungen der Gesellschaft einhergehen können, wurde leider während der Tagung nur gestreift.Angesprochen wurde pragmatisch die wachsende Konkurrenz im "philantropischen Sektor".Bürgerstiftungen treten neben althergebrachte single issue-Stiftungen, deren Kapitalhunger im übrigen mit den Aufgaben - und mit der durchgehenden Professionalisierung ihres Managements - gewachsen ist.Der Wettbewerb läßt sich bestehen, wenn Bürgerstiftungen ein von politischen wie ökonomischen Interessen unabhängiges Erscheinungsbild herstellen.Glaubwürdigkeit ist ein entscheidendes Kriterium.

Damit werden die deutschen Versuche auf dem Felde der Bürgerstiftungen noch zu ringen haben.Denn was wollen und können sie im kommunalen Tätigkeitsgefüge tun? Einmal mehr blieb es Rupert Graf Strachwitz, dem unermüdlichen Matador des Stiftungsgedankens in Deutschland, vorbehalten, die Probleme anzureißen.Es sei die Aufgabe gemeinnütziger Stiftungen, staatliches Handeln zu ergänzen, so laute ein Kernsatz hierzulande.Diesen Gedanken gelte es aber zu überwinden.Bürgerstiftungen hätten "eigene Agenda".Ausdrücklich warnte Strachwitz davor, nur als Ergänzung der Kommunen tätig zu werden.Darin schwingt das Ziel mit, Bürgerengagement sui generis als steuerlich förderungswürdig anerkannt zu sehen.Die Reform des Stiftungsrechts steht hierzulande aus.Doch verstärken sich die Signale, daß es damit in dieser Legislaturperiode Ernst werden könnte.Übrigens sollte der Zusammenhang zwischen Steuererleichterung und Wohltätigkeit nicht überbewertet werden, wie neben anderen Suzanne Feurt vom "Europäischen Stiftungszentrum" in Brüssel anmerkte.Tax benefits beeinflussen den Umfang von gestiftetem Kapital, aber sie bewegen nicht ursächlich zum Spenden.Den charitable instinct, von dem in diesem Zusammenhang die Rede war, wünschte man sich hierzulande durchaus deutlicher ausgeprägt.

Und Gütersloh? Was hier mit Stiftungsmitteln getan wird - von der Betreuung von sprachunkundigen Aussiedlerkindern über die Schaffung von Jugendtreffs bis zur Förderung von Familien mit häuslichen Pflegefällen -, ist aller Ehren wert, fällt aber genau in die Kategorie des "Ergänzungs-" oder "Ersatzhandelns".Daß es am Aufbau eines eigenen Stiftungsvermögens hapert, verwundert nicht.Die trennscharfe Abgrenzung gegenüber temporären Initiativen und zweckgerichteten Vereinen fällt schwer.

Das ist kein speziell Gütersloher Problem.Es zeigt nur auf, daß Bürgerengagement in einer durch und durch verwalteten Gesellschaft wie der unseren der Legitimation bedarf.Die Grenzen kommunaler Tätigkeit sind spürbar.Die Notwendigkeit bürgerschaftlichen Engagements aber muß deutlicher begründet werden als aus akuten Mißständen.Solches Engegament muß eingebunden sein in einen gesellschaftlichen Wandlungsprozeß, der sich hierzulande noch nicht einmal in Umrissen abzeichnet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false