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Guido Möbius: Experiment und Erleuchtung

Energie aus der inneren Mitte: Der Berliner Gitarrist Guido Möbius stellt seine neu vertonten Spirituals vor.

„Mit dem Mainstream habe ich nicht sonderlich viel am Hut. Ich bin sofort gelangweilt, wenn ich weiß, was als Nächstes passiert. Wenn ich überrascht werde, dann bin ich interessiert.“ Mit diesen Worten beschreibt Guido Möbius seinen Musikgeschmack – und zugleich seine Alben und Live-Auftritte. Die stecken voller Überraschungen, atmen den Geist der Improvisation und fordern die Hörerinnen und Hörer heraus, wie es viele andere Musiken nicht tun. Möbius’ Kunst, voller schroffer Abstraktionen, abenteuerlicher Experimente, aber auch wunderschöner Melodie-Einfälle und Klangmalereien, macht Arbeit. Und verlangt eine gewisse Bereitschaft, sich mit Ideen auseinanderzusetzen, für die diverse Schubladen geöffnet werden könnten.

Möbius, 43, kam Ende der neunziger Jahre aus Köln nach Berlin und wohnt inzwischen, nach einem Zwischenstopp in Friedrichshain, mit Frau und zwei Kindern in Weißensee. Er selbst beschreibt sich als Musiker, Musikverleger und Promoter, also als jemanden, der die Produkte anderer Künstler an Radios und Zeitungen vermittelt. Keine der drei Säulen trägt allein, denn auch in den beiden Brotjobs fühlt er sich Werken verpflichtet, die abseits des Mainstreams in ökonomisch wenig lukrativen Nischen existieren. Seine eigene Musik nimmt er über lange Zeiträume, ganz entspannt, Schicht für Schicht, zu Hause auf.

Auf der Bühne schickt Möbius seine Hauptinstrumente Gitarre und Stimme durch ganze Batterien von Effektgeräten und Samplern, spielt mit dem Publikum. Er sieht das Live-Ereignis nur noch „informiert“ von dem, was auf den Platten vorliegt. Er gilt manchen als Elektronik-Legende, anderen als komponierender Improvisator. Oder einfach als Freigeist, der nach den drei Alben „Klisten“, „Dishoek“ und „Gebirge“ jetzt ein Werk veröffentlicht hat, mit dem er bereits im Titel provoziert: „Spirituals“. Religiös konnotierter Musik begegnet die Kritik in diesem Lande schließlich oftmals mit Abwehr. Hat den Kölner etwa der Schatten des Doms eingeholt? Ist er in Berlin religiös geworden? Oder macht sich der Avantgardist lustig über geistliches Liedgut? Die Antwort: ganz und gar nicht.

„Ich hatte immer Probleme mit Texten“, sagt Möbius. Das Trauma entstand, als er vor vielen Jahren in einer Band sang, „ganz bedeutungsschwangere, schreckliche lyrische Texte. Irgendwann wurde es mir einfach schlecht davon. Danach habe ich Inhalte konsequent vermieden.“ Seine ersten Platten bestehen denn auch ausschließlich aus Instrumentals. Auf „Gebirge“ kam der Sänger Go:Gol dazu. „Der sang sehr ausdrucksstark“, sagt Möbius, „allerdings keine richtigen Texte. Das war so ein Fake-Englisch oder Dada, komplett sinnfrei. Für mich war das eine super Lösung.“ Die Verwendung von Gospel- und Spiritualtexten des frühen 19. Jahrhunderts sieht er da nur als konsequente Fortführung. „Das sind Texte, die wahnsinnig aufgeladen sind mit Bedeutung und Pathos – aber es ist nicht mein eigenes Pathos. Ich benutze es, stehe daneben und bin in dem Moment nur ein Interpret.“

"Wenn wir zusammen singen, dann ist da irgendwas im Raum, das vorher nicht da war"

Möbius suchte im Internet nach Texten und wählte sie nach ihrer Metrik aus, die auf bereits vorhandene Songideen passen musste. Die Melodien und Interpretationen der Texte kannte er nicht. Eingesungen haben die Lyrics Gäste wie Kiki Bohemia, Wuzi Khan und wiederum Go:Gol.

Inspiriert wurde Möbius zu dem „Spirituals“-Projekt bei seinen Konzerten: „Da sang ich irgendwelche Phrasen und hielt dann mein Mikro ins Publikum, ließ es rumgehen und das Publikum sang mit. Oder es sang etwas eigenes. Das habe ich dann eingebaut.“ Und plötzlich passierte etwas: „Ich habe gemerkt, dass das unheimlich kraftvoll ist. Um diese Energie ging und geht es mir eigentlich. Sie entsteht beim gemeinsamen Singen – auf der Bühne, in der Kirche. Oder zu Hause in der vierköpfigen Familie, wo du auf einmal merkst: Wenn wir zusammen singen, dann ist da irgendwas im Raum, das vorher nicht da war“, sagt Möbius. „Es hat etwas auf einer rein emotionalen Ebene – vielleicht so wie bei Ravern, die auf große Partys gehen und das als quasi religiöses Erlebnis beschreiben.“

Der getaufte Katholik, der die Kirche schon vor Jahren verlassen hat, will sich keinesfalls über diese Kultur lustig machen. Er betont auch, dass es ihm nicht um eine ironische Brechung und schon gar nicht um Religionskritik geht. Möbius bezeichnet sich als Atheist oder Agnostiker – und gibt dann doch zu, dass ein kleines Augenzwinkern bei „Spirituals“ im Spiel ist.

Die Hülle des Albums zeigt eine geschnitzte Hand, durch die ein Nagel getrieben wurde, vor einem golden strahlenden Hintergrund. Es ist die linke, die Greifhand der Gitarristen. Möbius lacht. „Das ist eine Kruzifixhand. Es gibt verschiedene Nägel, der hier ist der im Tiroler Holzschnitt bekannte Vierkantnagel. Wenn man sich diese Hand isoliert ansieht, dann fragt man sich: Was ist das bloß für ein Teil?“ Um die Hand zu finden, hat er lange recherchiert, bei Tiroler Holzschnitzern, in Österreich, Süddeutschland.

Schließlich wurde er in Weißensee fündig: „Die Hand habe ich zwei Straßen von mir entfernt entdeckt, bei einem Restaurationsbetrieb.“ Eine göttliche Fügung? Auf jeden Fall ein martialisches und einprägsames Bild, das sich gut in einem Regal mit fundamentalistischem Sakro-Pop machen würde. Ein Gedanke, der Guido Möbius schmunzeln lässt. „Das wäre doch ganz lustig, wenn jemand aus dieser Ecke aus Versehen meine Platte kaufen würde.“ Unverhoffte Erleuchtung nicht ausgeschlossen.

„Spirituals“ ist bei Karaoke erschienen. Konzert: 13. September, 21 Uhr, HBC, Karl-Liebknecht-Straße 9.

Andreas Müller

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