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Kultur: Gummiert und vernäht

Die exquisite Kunst des Berliner Sammlers Jochen Kienzle wird in Magdeburg erstmals groß gezeigt.

Sperrig ist sie, die individualistische und trendferne Sammlung des Berliner Privatiers Jochen Kienzle. Dass mit dem Magdeburger Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen nun aber zum allerersten Mal ein Museum einen Überblick über die inzwischen in einer Stiftung zusammengefassten Bestände Kienzles wagt, mutet doch merkwürdig an. Fast jeder Sammler fordert heutzutage mindestens eine eigene Museumsetage in den staatlichen Institutionen. Die Museen reißen sich um Leihgeber, seit sie selbst immer weniger Geld für Ankäufe haben. Und dennoch wird Kienzles Sammlung nur selten von Kuratoren unter die Lupe genommen.

Vielleicht ist die Freiheit zu ungewohnt, die Kienzle den Partnern lässt. Oder einfordert, wenn er mit kleinen Institutionen wie zuletzt dem Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam experimentiert und den Ausstellungsmachern Carte blanche erteilt. Der Sammler sucht nicht Repräsentation, er will Antworten auf die Fragen, die in den Bildern stecken. Der Sprössling einer Sammlerfamilie versteht seinen Besitz als Bildungsauftrag für sich und andere. Selbst aufgewachsen mit herausragenden Werken der Klassischen Moderne im elterlichen Haus, begann auch er, sich für Kunst zu interessieren, Ateliers zu besuchen und die ersten Bilder zu kaufen. Daraus wurde ein Bedürfnis – und später eine exklusive Sammlung ausschließlich mit eigenwilligen Positionen lange unterschätzter, konzeptueller Künstler.

Verglichen mit diesem Eigensinn, widmet sich die Schau in Magdeburg nun eher klassischen Fragen: Wie entstehen Bilder, und in welchem Verhältnis stehen sie zum Betrachter? Das Scharnier bildet die Malerei. Mit etwa 80 Bildern von 25 Künstlern ist sie die größte Ausstellung, die es bisher ausschließlich mit Werken aus der Sammlung gab. Entwickelt wurde sie von Direktorin Annegret Laabs gemeinsam mit Friedemann Malsch, Direktor des Liechtensteiner Museums Vaduz. Kienzles erklärtes Ziel ist es, zu zeigen, was andere nicht zeigen. Positionen, die seiner Ansicht nach in die Geschichte der Kunst gehören und nicht vergessen oder übergangen werden sollten. Hiermit liegt Kienzle gewiss ein Stück weit im Trend, haben doch just historische und marginalisierte Künstler gerade Konjunktur. Dennoch wird er wohl nicht zum Vorreiter des Marktes werden, weil sein kritischer Blick auf Atypisches und Unkonventionelles gerichtet ist.

Mehr als 700 Werke hat Kienzle so zusammengetragen. Einige Zeit war der Mann, der sich von guten Werken nicht trennen kann, sogar Galerist und Händler, doch Besitzlust macht unwirtschaftlich, und echtes Kaufinteresse eines Experten war für Kienzle eher Anreiz, das Bild für sich zu behalten. Überhaupt widmete er sich lieber dem Austausch, dem Diskurs – den mysteriösen Bildräumen der süddeutschen und amerikanischen Erben des Informel und des Konzeptualismus.

So geradlinig der Parcours, so abseitig die Arbeiten, die sich in Magdeburg versammeln. Im Karree läuft man im Obergeschoss des Kreuzgangs kontemplativ und geradewegs die Werke ab, die rechts und links des schmalen Ganges hängen. Immer mit einem Blick in den idyllisch-klösterlichen Garten. Den Einstieg bildet David Reeds schlankes Hochformat und zeigt abstrakt gespachtelte grüne und lila Ölfarbe. Den Malspuren des Kaliforniers geht meist ein jahrelanger Entstehungsprozess voraus, erst dann ist das gewollte Ungleichgewicht hergestellt. Klaus Merkels Tiere von 1987 dagegen geben vor, gegenständlich zu sein. Tatsächlich dominiert die querformatige Leinwand eine wuchernde grüne Fläche auf orangefarbenem Grund. Ein Wald? Eine Wolke? Ein See? Verzweifelnd scheitert man am Versuch, der expressiven Abstraktion ihre Geschichte zu entlocken. Vielleicht aber ist sie hiermit auch schon längst erzählt.

In dem religiösen Kontext möchte man im Objekt von Gary Stephan, das Plastik und Objekt gleichermaßen darstellt, sogleich einen Vierpass erkennen – eine geometrische Figur an gotischen Bauwerken. „Keine Parole“, der Titel der Ausstellung, ist dem Bild des Malers Bertold Mathes entliehen. Es ist ein frühes Bild, damals war Mathes 27 Jahre alt, und zeigt doch alles, was ihn bis heute beschäftigt. Gewiss erlaubt sich Mathes gelegentlich einen klugen Scherz, wenn er sämtliche Formen und Farben in den unmöglichsten Kompositionen zusammenbringt und sich seine Formen gegeneinander auszuspielen scheinen.

Beachtenswert sind auch die beiden Großformate von Jack Goldstein aus den achtziger Jahren. Goldstein, der phasenweise mit Film, Ton und Text arbeitete und einst dem Minimalismus verfallen war, ließ seine Bilder ausschließlich von Assistenten malen. Bei Goldsteins titellosem Diptychon wurde ein kleines rotes Flugzeug akribisch wiedergegeben, vielleicht ein Raumschiff, mit weiß glühenden Tragflächen, das ins sternenleere Nichts düst. Oder Kurs nimmt auf die Spirale des Schwarz-Weiß-Bildes an der Stirnseite des Ganges in direkter Nachbarschaft: Science-Fiction als gemalte Realität. Louise Fishman, einst Schülerin von Agnes Martin, nahm die Fetzen einer Leinwand, um ihr eine neue Form zu verleihen. Das Objekt aus in Öl getränkten und gummierten und vernähten Streifen, die zusätzlich mit Metallnieten versehen wurden, wirkt wie ein Relikt archaischen Ursprungs. Dabei handelt es sich um einen politischen Kommentar zur Frauenbewegung und zum Vietnamkrieg.

In unmittelbarer Nähe hängt ein Bild von Franz Erhard Walther. „Der Stern sinkt“ stellte einst seine Eintrittskarte für die Städelschule in Frankfurt dar: Mit diesem Werk bewarb sich der damals 20-Jährige an der Hochschule, die ihn mit diesem informellen Bild par excellence direkt aufnahm. Nur wenig später legte er die Leinwand als reinen Malgrund ad acta und widmete sich seinen Mitmach-Textilarbeiten. Josef Kramhöllers Vaselinebilder hingegen, die als Performance gedacht und doch als Malerei weitergeführt wurden, sind als Notizen und Versuchsanordnung zu verstehen. Es ist die Aktion, die zählt und trotzdem ohne die Leinwand nicht auskommt. In einem der romanischen Fensterbogen befindet sich das zweiteilige Werk „Double Dutch“ (1985) von Jack Whitten, das mit Kauderwelsch übersetzt werden kann. Kleine erhabene Quadrate mit unregelmäßiger Koloration, die wie Mosaiksteinchen aussehen, bilden eine Pixel-Skulptur allein aus Farbe.

Am Ende schlägt die Avantgardelust im Schlussbild der Ausstellung in Melancholie um: Die „Nescafé-Collage“ (1947) von Kurt Schwitters, zusammengesetzt aus zerschnittener Reklame, gleicht einer Tagebuchnotiz aus dem Exil. Sie appelliert an den unbeirrbaren Glauben zur Unangepasstheit. Schade, dass die Magdeburger Museumsmacher selbst zu befangen sind und Kienzles hinreißende Werke nicht stärker befragen, analysieren und kontrastieren. Ein Manko ist auch, dass es keinen Katalog zur Ausstellung geben wird. Darin hätte der Auftrag für das Museum bestanden: in einer Publikation Stellung zu nehmen, Thesen zu untermauern und neue zu suchen. Wozu sonst sollte sich die Öffentlichkeit mit dem privaten Besitz auseinandersetzen? Auch so könnte man Kienzles Sammlung verstehen. Als Auftrag, mit der Kunst lebendig umzugehen, statt sie nur zu bewundern.

Kunstmuseum Kloster, Magdeburg; bis 15. 9. Am 4.9. findet ein Sammlergespräch mit Jochen Kienzle im Museum statt. Anmeldungen für einen Shuttlebus nach Magdeburg unter info@traveldesignberlin.de.

Annika Karpowski

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