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Kultur: Gut gebellt, Löwe

Manga & Co: Die Berliner Kunst-Werke zeigen „Animations“

Der Auftakt ist furios. Ein dunkler Schatten erhebt sich, reckt den massigen Kopf. Dreht sich, wendet sich – und dann beginnt, was wohl eine Ansprache sein soll. Breitbeinig und wild gestikulierend bellt die schreckliche Gestalt ihre unhörbaren Deklamationen heraus. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn nun hebt die Prozession an: Eine schier endlose Reihe von Bedrängten und Beladenen, Lahmen und Faulen, Dicken und Dünnen, Armen und Reichen zieht vorüber. Ob sie kommen oder gehen, ist offen. Dazu ertönt aus Lautsprechern ein einlullendes Lied. Es ist ein eindrucksvoll ambivalentes Werk über Verführung und Verführbarkeit, über Massentrieb und Massenpsychose, Attraktion und Flucht, das der 1955 in Johannisburg geborene Documenta-Teilnehmer William Kentridge geschaffen hat. Im XXL-Format flimmert der gekonnt ungelenk animierte Scherenschnitt-Film über eine riesige Leinwand in der zentralen Ausstellungshalle der Kunst-Werke und bildet so gleich zu Anfang den imposanten Höhepunkt einer Schau, die sich – passend zur Berlinale-Zeit – den bewegten Bildern verschrieben hat.

„Animations“ umfasst die Arbeiten von dreißig Künstlerinnen und Künstlern: Ihr gemeinsamer Nenner ist die Technik, in der sie hergestellt wurden – die künstlichste Form des Filmemachens, die Animation. Ob nun als Cut-Out, Bleistiftzeichnung, Comic oder Computer-generiert, stets wird dem Betrachter vor Augen geführt, dass hier keine Realität nachgestellt, sondern neu konstruiert wird – manchmal mit schmerzhafter Deutlichkeit. Dabei ist in den meisten Fällen nicht leicht zu entscheiden, wo die Kunst aufhört und der Film beginnt. William Kentridges subtile und technisch vergleichsweise altmodische „Shadow Procession“ könnte auf jedem Kurzfilmfestival laufen. Ein Merkmal, das für die übrigen Werke in dieser Ausstellung auch mehr gilt, zumal die Organisatorinnen Carolyn Christov-Bakargiev (Turin) und Larissa Harris (New York) offenkundig auch keinen Wert darauf legten, die Genres und Kontexte voneinander zu trennen.

Vor einem Jahr bereits wurde „Animations" im New Yorker P.S.1 gezeigt. Für die Übernahme nach Berlin ist die Ausstellung um eine Sektion erweitert worden, in der Klassiker der Animations-Kunst präsentiert werden und in der man so manchen Film findet, der vor wenigen Jahren noch im großen Kino lief. Und so dringt in den Kunst-Werken derzeit so viel Licht wie nie zuvor aus Bildschirmen und Videoscreens, Computern und einem 16mm-Projektor. Überall elektronische Geräte, Kabelstränge, abgedunkelte Fenster: Die drei Ausstellungsetagen wirken wie Höhlen, in denen sich das tatsächliche Leben weitgehend verabschiedet hat.

Fast beängstigend zum Beispiel die gnadenlos artifizielle Erscheinung der „Blumen“ in der Videoinstallation von Haluk Akakce: Hier ist die Natur nicht mehr, was sie einmal war, hier ist sogar überhaupt keine Natur mehr. Ähnlich die Arbeit von Liane Lang: Unablässig leckt eine Figur an etwas Unbestimmbarem, und das tut sie mit einer Inbrunst, die einem Schauder über den Rücken jagt. Und obwohl man das Gesicht in Nahaufnahme sieht, bleibt immer ein Zweifel, wie echt dieses Geschöpf jetzt wirklich ist. Die Augen scheinen menschlich, die Bewegungen dagegen komplett anorganisch.

Während Akakces und Langs Animationen davon leben, dass da nichts lebt, reichen etliche andere Werke nicht über den bloßen, mittlerweile schon leicht abgehangenen Effekt hinaus. Gerade die interaktiven Internet-Spielereien sind oft nur noch zum Gähnen, aber auch großangelegte, aufwändige Projekte wie Karen Yasinskys pseudo-psychologische Animation „Fear“ oder die verkrampft-intellektuelle Manga-Reminiszenz „No Ghost, just a Shell“ der Franzosen Pierre Huyghe und Phillipe Parreno halten nicht, was sie versprechen. Wer so mit dem Neuesten vom Neuen hausieren geht, läuft Gefahr, in die immanente Falle zu tappen, denn irgendwann, häufig schon bald, wird das Neueste von einem neuen Neuesten abgelöst.

Es hat deshalb nicht nur etwas Rührendes, sondern durchaus angenehm Kalkuliertes, wenn ein Künstler wie der in Berlin lebende Jonathan Monk das gute alte Celluloid wiederbelebt. Von ihm stammt einer der sympatischsten Beiträge zu „Animation": Die längste Zeit wirft der 16mm-Projektor lediglich seinen gleißend weißen Lichtkegel an die Wand, doch für wenige Sekunden, immer nur ganz kurz, taucht darin plötzlich das Bild einer minimalistischen Zeichnung von Sol LeWitt auf. In der überbordenden, hypertrophen Fülle dieser Schau hat die Schlichtheit von Monks Versuchsanordnung und ihre Verneigung vor der traditionellen Kunst etwas, das die restlichen Arbeiten leider zu oft vermissen lassen: etwas Ergreifendes.

Kunst-Werke Berlin, Auguststraße 69, Dienstag bis Sonntag 12-18 Uhr, bis 6. April. Katalog 20 Euro.

Ulrich Clewing

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