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Kultur: Gut geschminkt ist wahr gemacht

Illusion der Unendlichkeit: Die Deutsche Guggenheim Berlin zeigt Installationen und Skulpturen von Bruce Nauman

Normalerweise manifestiert sich die Kunstgeschichte in Epochen, die von herausragenden Künstlern und Stilen geprägt werden. Dabei wird sie zumeist als „Positiv“-Geschichte interpretiert, was bedeutet, dass sich Künstler in ihrem Werk für etwas entscheiden. Doch vielleicht sollte man das Ganze einmal um 180 Grad drehen und bedenken, dass Künstlern manchmal viel mehr daran gelegen ist, sich gegen etwas zu entscheiden. Dann wäre die Geschichte der Kunst nicht eine Abfolge des Guten, Schönen und Erbaulichen, sondern bestünde aus Ablehnung und Renitenz, Opposition, Revolte und ideellem Vatermord.

Diese kreative Anti-Haltung gilt auch für das Werk von Bruce Nauman. Als Nauman Mitte der Sechzigerjahre anfing, Kunst zu machen, war der Abstrakte Expressionismus am Abklingen, waren Pop und Minimal-Art gerade schwer im Kommen. Alle drei Kunstrichtungen hatten trotz ihrer eklatanten Unterschiede eines gemeinsam: Die Rollen von Künstler und Betrachter waren klar voneinander geschieden – der eine schöpft und schafft, der andere schaut. Nauman, seit langem einer der teuersten lebenden Künstler, war einer der Ersten, die mit diesem ehernen Gesetz brachen, die sich vom zeitgenössischen Theater und vom Film inspirieren ließen und so eine neue Kunstform ins Leben riefen: die Performance, die das Publikum direkt ins Geschehen mit einbezieht.

Wenn nun die Deutsche Guggenheim die erste größere Nauman-Ausstellung in Berlin präsentiert, dann muss man einiges zu den ausgestellten Arbeiten hinzudenken. Für sich genommen wirken die meisten Exponate nämlich ausgesprochen spröde. Da ist zum Beispiel das „Lighted Center Piece“ von 1967/68: Es besteht aus einer einfachen Stahlplatte, an deren Seiten vier starke Halogenstrahler angebracht sind. Die Lampen beleuchten das leere Zentrum der Platte, werfen ihre viermal tausend Watt von dort an die Decke und konstruieren so eine Miniatur-Bühne, bei der der Betrachter sich vorstellen darf, was wäre, wenn er selbst dort stünde.

Eine ähnliche Idee verbirgt sich hinter „Device to Stand In“ von 1966, dem ältesten Werk der mit knapp zwanzig Skulpturen, Videos und Installationen angenehm dimensionierten Ausstellung. Dabei handelt es sich um eine schiefe Ebene, eine Art Trittbrett, das früher einmal dafür gedacht war, dass sich die Ausstellungsbesucher darauf stellen und versuchen, Haltung zu bewahren. Dass dies heute nicht mehr möglich ist, hat konservatorische Gründe, die dem ursprünglichen Gedanken zuwiderlaufen. Sonst würde man nämlich schnell merken, wie wenig es braucht, um die eigene Wahrnehmung und Körperlichkeit buchstäblich ins Wanken zu bringen. So bleibt nur die Fantasie, eines der wichtigsten Hilfsmittel der Konzept-Kunst, der Nauman gern zugerechnet wird.

Dass körperliche Grenzerfahrungen häufig mit der Erfahrung der Grenzen des Körpers zu tun haben, zeigen zwei Werke, die man im Gegensatz zu den eben erwähnten auch selber ausprobieren kann: die beiden engen Korridore aus Spanplatten, einer davon mit Spiegel, der die Illusion der Unendlichkeit vortäuscht, einer ohne Spiegel. Diese engen Gänge sind nichts für Klaustrophobiker: Sie sind so schmal, dass der Besucher Schwierigkeiten hat, hindurchzugehen.

Angesichts dieser in mehrfacher Hinsicht sperrigen Kunst mag man sich fragen, wie es dem 1941 in Fort Wayne, Indiana, geborenen, lange Zeit in New York ansässigen und mittlerweile in der Einöde von New Mexico lebenden Nauman gelingen konnte, zu einem der gefragtesten Künstler der westlichen Hemisphäre zu werden. Nauman hatte von Anfang an Ausstellungen in den renommiertesten Galerien New Yorks, war 26 Jahre alt, als er zum ersten Mal zur Documenta nach Kassel eingeladen wurde (an der er inzwischen fünfmal teilnahm). Er ist Stammgast auf der Whitney Biennale (ebenfalls fünfmal) und der Biennale von Venedig (drei Teilnahmen), außerdem haben ihm die bedeutendsten Museen der Welt, darunter das Museum of Modern Art in New York und das Museo Reina Sofia in Madrid, immer wieder umfangreiche Retrospektiven gewidmet. Auch die Sammlung Flick, die ab 2004 in Berlin zu sehen sein wird, verfügt über bedeutende Nauman-Werke.

Die Erklärung für diesen erstaunlichen Erfolg findet man am ehesten in den Videos und Neonarbeiten (von denen in Berlin allerdings nur eine präsentiert wird, „Mean Clown Welcome“ von 1985). Hier erweist sich der Künstler als ein wahrer Meister der effektvollen Reduktion. Mit spärlichsten Mitteln erreicht Nauman, was in dieser Form offenbar nur Amerikaner können: eingängige, unterhaltsame, teilweise sehr komische Kunst herzustellen, ohne dabei platt, lau oder gedankenarm zu erscheinen.

Rollenverhalten, Identität, Austauschbarkeit und Verkleidung sind Themen, die Künstler gegenwärtig besonders beschäftigen. Nauman hatte hierfür schon 1967 die passende Formel entdeckt: In dem Video „Art Make-up“ (man beachte den mehrdeutigen Titel) sieht man Nauman als jungen Mann, wie er sich nacheinander weiß, rot, grün und schwarz schminkt. Das klingt nicht nur einfach, es ist es auch: einfach bezwingend in seiner Sinnbildhaftigkeit.

Ähnlich brillant, was das Verhältnis von Aufwand und Wirkung betrifft, ist der Film „Double No“. In einer Endlosschleife tanzen zwei Clownsfiguren um die Wette. Immer wieder hüpfen sie auf und ab, tapfer und unermüdlich schreien sie „No, no, no“, bis einem das Lächeln gefroren ist.

Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13–15, bis 18. Januar, täglich 11–20 Uhr, Do bis 22 Uhr. Katalog (Hatje Cantz) 19 Euro.

Ulrich Clewing

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