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Kultur: Gutdeutsche vom Bodensee

Uraufführung in München: Fontanes Effi Briest wird bei Rolf Hochhuth zur monologisierenden Heldin von "Effis Nacht", alias Baronin von ArdenneVON ANDRES MÜRYDer Dichter Fontane gönnte seiner Effi von Instetten geborene Briest einen frühen, mit dem Leben versöhnten Tod und einen Grabstein bei ihren Eltern.Ihr Vorbild in der Wirklichkeit, Baronin Elisabeth von Ardenne, arbeitete nach der Scheidung als Krankenpflegerin und starb 1952 im Alter von 99 Jahren in Lindau am Bodensee.

Uraufführung in München: Fontanes Effi Briest wird bei Rolf Hochhuth zur monologisierenden Heldin von "Effis Nacht", alias Baronin von ArdenneVON ANDRES MÜRYDer Dichter Fontane gönnte seiner Effi von Instetten geborene Briest einen frühen, mit dem Leben versöhnten Tod und einen Grabstein bei ihren Eltern.Ihr Vorbild in der Wirklichkeit, Baronin Elisabeth von Ardenne, arbeitete nach der Scheidung als Krankenpflegerin und starb 1952 im Alter von 99 Jahren in Lindau am Bodensee.Wie Fontane auf den Gesellschaftsskandal der 80er Jahre stieß und mit welchen Kunstgriffen er ihn transportierte, ist längst erforscht, zuerst von der Literaturwissenschaftlerin Helene Herrmann um 1920: Fontane war dem Ehepaar von Ardenne im Berliner Salon der Emma Lessing begegnet.Seine Heldin verjüngte er um zehn Jahre, verheiratete sie schon mit 17 und ließ sie statt nach zehn schon nach einem Jahr ehebrechen.Den Schauplatz der Affäre verlegte er von Düsseldorf ins hinterpommersche Provinznest Kessin, aus Baron von Ardenne, Adjutant im preußischen Kriegsministerium, wurde der Landrat Instetten, aus Emil Hartwich, Amtsrichter und pädagogischer Publizist, der Lebemann von Crampas.Gewiß, ein merkwürdiges Gefühl muß es gewesen sein, sein eigenes Leben - bei Erscheinen von "Effi Briest" 1896 war die Baronin 42 Jahre - derart transponiert, 1939 auch noch mit Marianne Hoppe verfilmt zu sehen, bekannt ist indes darüber nichts.Oder doch? Rolf Hochhuth, der sich auf Gespräche mit dem (inzwischen verstorbenen) Enkel Manfred von Ardenne beruft, hat der bislang Stummen einen Monolog gewidmet, "Effis Nacht", seit zwei Jahren (bei Rowohlt) als Buch, nun am Münchner Prinzregententheater von August Everding uraufgeführt.Möchte Hochhuth ihr, analog zu "Wessis in Weimar", gegen Treuhand-Fontane, der, ohne zu fragen, ihr Leben enteignete, posthum Recht verschaffen? Womöglich mit neuen skandalösen Details? Die hat er nicht zu bieten.Durch den Mund seiner Heldin läßt er, hochhuthsch aufbereitet, die Erkenntnisse der bekannten Sekundärliteratur fließen.Zudem taugt ihm Fontane nicht zur Haßfigur, seinem Realismus gilt seine Bewunderung - selbst Fontanes konventionelle Scheu, "daß er stets abbricht, wenn es ernst wird", läßt er die Baronin am Ende für "menschlich weise" preisen.Wo aber ist dann das Drama? Hochhuth zwingt den Krieg herein, die Dame hat schließlich fünf erlebt: 64, 66, 70, 14, 39.Er setzt die 90jährige Baronin im Stalingradjahr 1943 als Nachtwache ans Bett eines schwerverwundeten Studenten, den die Wehrmacht zum Sterben nachhause nach Lindau entließ: die Augen herausgeschossen, nach einem Luftröhrenschnitt stumm.Als Florence Nightingale vom Bodensee, als Gutdeutsche des Jahrhunderts, darf hier die Tragödin Maria Becker, die schon einmal bei Everding Hochhuths "Hebamme" war, ihre Pflicht tun.Sie tut es hurtig in der Art einer Stellprobe, hüpft von Textinsel zu Textinsel, die Everding in seiner rabiaten Strichfassung gelassen hat.Eine Melange aus Selbstbezichtigung und Anklage: Ihre Kaste, die von Militär und Adel, führt den Krieg, nicht die Nazis.Und was tut sie für ihre jüdischen Bekannten, die Lessings, die Liebermanns? Von ihrem Enkel Manfred weiß sie, daß sie ins Gas gehen.Aber die Alliierten, nicht wahr, sie machen sich mit ihren "Wohnblockknackern", die deutsche Städte verbrennen, auch schuldig.Und dazwischen rüttelt sie, als sie unvermittelt über den Duelltod Hartwichs räsoniert, heftig an einem Schaukelstuhl.Schweigen wir darüber, daß Hochhuth in seiner dramatischen Ratlosigkeit die Sirenen heulen und alsbald in der Ferne Friedrichshafen in Flammen aufgehen läßt.Auch darüber, daß Everding keine pyrotechnische Mühe scheut, uns durch die (alsbald zersplitternden) Fenster des Akademietheaters daran teilzuhaben.Fragen wir, was Hochhuth wirklich wollte.Vielleicht hat er die Pietà mit der Baronin und dem Sterbenden nur aufgebaut, um über das Sterbenmüssen nachzudenken und darüber, wie es alles relativiert? "Nichts, was der Mensch weiß - daß er so vieles nicht weiß: läßt hoffen", läßt er, der große Aufklärer, die Baronin am Ende sagen.Oder doch nicht: sein nächstes Drama heißt "Arbeitslose".

ANDRES MÜRY

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