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Kultur: Gute Nacht, Salzburg

Eine FESTIVALVORFREUDE von Andres Müry

Der Tod ist ein Meister aus Salzburg. Jeder weiß es, der erlebt hat, wie der Sensenmann aus dem Dom tritt, um dem Jedermann seine letzte Stunde anzusagen. Nicht der Glaube, die mahnende Tante, beherrscht in Salzburg den Platz, sondern ER. Wegen SEINES Auftritts stürmen die Tausenden allsommerlich zum Wohl der Festspielkasse die Tribüne. Von IHM, dem Tod, sind sie fasziniert, den keine Vernunft fassen kann. Wobei der Witz ist: Alle wissen es, aber man spricht es nicht aus. Schon Max Reinhardt sprach lieber von einem heiteren Fest.

Was aber jetzt? Eine Woche vor Festspielbeginn traut man seinen Augen nicht: auf der hellen Fassade des Hauses für Mozart leuchtet in düsterem Blau ein Plakat mit der Aufschrift NACHTSEITE DER VERNUNFT. Es ist das Motto der ersten Saison des Intendanten Jürgen Flimm. Immerhin grinst uns kein Totenschädel an, es ist ein in Nachtblau getauchtes Wasserschloss des belgischen Künstlers Jan Fabre. Doch die Wirkung gleicht der Warnung auf unseren Zigarettenschachteln RAUCHEN KANN TÖDLICH SEIN. Als ob wir das nicht wüssten! Was hat Flimm bloß getrieben, das ungeschriebene Salzburger Gebot zu missachten? Wahrscheinlich die Lust, seinen Ruf als rheinische Frohnatur demonstrativ zu widerlegen. Neben dem einschlägigen „Jedermann“ wimmelt sein Programm nur so von notorischer Düsterkeit: die Teufels-Oper „Der Freischütz“ , Das Krüppel-Drama „Ein Fest für Boris“ von Thomas Bernhard, der Hardcore- Schocker „Quartett“ von Heiner Müller. Und Berlin entsendet die bösen Buben Luk Perceval und Feridun Zaimoglu, die einen sechsstündigen Folterabend mit dem Titel „Molière. Eine Passion“ ankündigen.

So was tut man nicht ungestraft. Zwar sei der Vorverkauf glänzend verlaufen, versichert Flimm. Doch bei den künstlerischen Vorbereitungen häuften sich die Pannen in einer Weise, dass man nicht zögert, sie metaphysische zu nennen. Karl Merkatz, der Herrgott im „Jedermann“, meldete sich krank. Peter Fitz muss nun den Himmel vertreten. Joachim Meyerhoff, der Teufel, warf seine Nerven weg. Sven-Eric Bechtolf zieht nun in der Hölle ein. Wenigstens Clemens Schick, der Tod, hält bislang beinhart durch.

Die katholische Kirche Salzburgs zeigt sich in der Sache bemerkenswert distanziert. Groß war Anna Netrebkos einziger Auftritt in Pergolesis „Stabat mater“ im Dom angekündigt. Doch statt der gewünschten 1500 zahlenden Fans wollte die Diözese nur 990 zulassen. Jetzt singt die heilige Anna der Tonträgerindustrie im Haus für Mozart.

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