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Kultur: Gute Nazis, schlechte Männer

Was wäre den Deutschen alles erspart geblieben, wenn die Wiener Kunstakademie den Bewerber Adolf Hitler aufgenommen und er in Wien sein bürgerliches Auskommen gefunden hätte! Andererseits aber auch: Welch ein Verlust für das Londoner Theater!

Was wäre den Deutschen alles erspart geblieben, wenn die Wiener Kunstakademie den Bewerber Adolf Hitler aufgenommen und er in Wien sein bürgerliches Auskommen gefunden hätte! Andererseits aber auch: Welch ein Verlust für das Londoner Theater! Die Nazis und ihre Untaten sind eine Quelle, die in dieser Saison besonders reichlich sprudelt. Über die reine Schwarzweißmalerei ist man freilich länger hinaus. Jetzt sind es die verführerischen Seiten der Massenmörder, bei denen sich das Publikum aufs angenehmste gruselt.

Selbst die Königin, sonst nicht gerade für ihre leidenschaftliche Anteilnahme am zeitgenössischen Theater bekannt, ließ es sich nicht nehmen, den Proben zu "Speer" beizuwohnen. Star der Aufführung war - wie in Berlin - Klaus-Maria Brandauer, doch spielte er in London nicht den DDR-Funktionär, der den ideenreichen Ruheständler für die Abwendung des Bankrotts der "Arbeiter- und Bauernrepublik" zu gewinnen sucht,sondern den Titelhelden selbst. Von Esthers Vilars Stück waren die Londoner Kritiker weniger eingenommen, doch bescheinigten sie Brandauer trotz seines Burgtheater-Englisch starke Bühnenpräsenz. Der "Spectator" verglich ihn sogar mit Laurence Olivier.

Einen zweiten, fiktiven Pakt mit dem Teufel schildert der 1981 gestorbene schottische Dramatiker Cecil Taylor, der nicht weniger als 70 Stücke hinterließ. "Good", sein letztes, folgt der Karriere des musikliebenden Goethe-Experten Halder, den der gesundheitliche Verfall seiner Mutter zu einem Roman über die Euthanasie inspiriert. Der Roman erregt die Aufmerksamkeit des Führers. Halder wird bei der Beseitigung "lebensunwerten Lebens" zu Rate gezogen. Um seine Stellung zu festigen, tritt er in die SS ein, verrät seinen besten Freund, einen jüdischen Kollegen, und taucht gleichzeitig seine Frau gegen eine anhängliche Studentin aus, die ihm, wenn ihn Zweifel anwandeln, versichert: "We are good people." Höhepunkt seiner Laufbahn ist schließlich ein verantwortungsvoller Posten in Auschwitz. Bei einer Umfrage unter britischen Theaterfreunden wurde "Good" in die Liste der 100 wichtigsten Stücke des Jahrhunderts aufgenommen. Das ist nun doch etwas übertrieben: Allzu skizzenhaft und schematisch rauschen die Szenen an uns vorbei. Wir spüren, daß Taylor - anders als Goldhagen - nicht das deutsche Volk denunzieren will, sondern den Opportunismus der Intellektuellen. Aber so wie ihn Charles Dance im Dommar Warchouse, dem immer ausverkauften Londoner Kulttheater, spielt, ist von Anfang an klar, daß der professorale Gutmensch, wie es das "Times Literary Supplement" formulierte, nichts weiter ist als a shallow shit.

Das zweite immer ausverkaufte Kulttheater ist das Almeida. Es hat Wallace Shawns "Aunt Dan und Lemon", den Off-Broadway-Hit des Jahres 1985, wieder ausgegraben. Hier geht es um ein krankes Mädchen, das sich hauptsächlich von Fruchtsäften ernährt, und ihre mütterliche Freundin Danielle, eine Sozialdarwinistin reinsten Wassers. Für die Vermischung von Moral und Politik hat "Tante Dan" nur Verachtung übrig. Die Vernichtung der Juden durch die Nazis zu beklagen, doziert sie mit heiterer Miene, gehöre zwar heute zum guten Ton, sei aber nichts als Heuchelei: "Die Nazis sind nur deshalb Verbrecher, weil sie den Krieg verloren haben."

Die rassistischen Tiraden, mit denen Shawns Beelzebübin den Teufel im Publikum austreiben soll, sind, wie die drei Bombenattentate in London gezeigt haben, von der Wirklichkeit nicht weit entfernt. Einer der Autoren, die sich immer wieder mit dem alltäglichen Rassismus beschäftigt haben, ist der 45jährige Hanif Kureishi. Die im pakistanischen Milieu Londons spielenden Filme "Mein wunderbarer Waschsalon" (1986) und "Sammy und Rosie tun es" (1988) deren Drehbücher er schrieb, waren Welterfolge. Doch inzwischen ist Kureishi ein arrivierter Mann und den Unannehmlichkeiten seiner Herkunft weit entrückt. In seinem neuen, vom National Theatre inszenierten Stück "Sleep With Me" kommt kein einziger Farbiger vor. Was wir vor uns haben, ist ein Treffen alter Studienfreunde in akuter midlife crisis. Soweit sie ihre Scheidung nicht schon hinter sich haben, sind sie drauf und dran, ihre Partner zu verlassen. Längst träumen sie nicht mehr von einer besseren Welt, sondern nur noch von ihrer Karriere und frischem Menschenfleisch. Der einzige, der den Idealen seiner jungen Jahre treu blieb, ist ein spießiger Lehrer mit kümmerlichem Gehalt und einer unbefriedigten Frau, die bald im Bett des zynischen Filmfritzen landen wird. Es ist seine eigene Geschichte, die Kureishi beschreibt - und nicht zum erstenmal: Schon in seinem autobiographischen Roman "Intimacy" (1998) hatten wir das Vergnügen. Aber wie das immer so ist, wenn sich Kunst und Leben allzu nahe kommen: Die Wahrheit ist banal, erst die Distanz macht sie interessant. Oder mit den Worten Franz Grillparzers: "Die Kunst verhält sich zur Natur wie der Wein zur Traube." Was Kureishi serviert, ist nur Traubensaft.

JÖRG VON UTHMANN

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