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Kultur: Guten Tag, ich bin ein Popstar

„Wir sind Helden“ sind die Band der Stunde. Harald Schmidt ist auch schon Fan

Just als David Bowie 1977 sein zweites Berliner Album „Heroes“ betiteln wollte, brachten die Stranglers „No more Heroes“ heraus. Bowie schreckte das nicht, er stellte seine „Helden“ kurzerhand in Anführungszeichen und hängte Epigonen wie Kritiker wieder ab. Um Anführungszeichen, diese Ironiemarken scheint es sich bis heute in der Popmusik ständig zu drehen. Darum, ob Schlachtrufe wie „Her mit den Helden“ oder „Weg mit den Helden“ oder „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ dem Pop gut zu Gesicht stehen oder ob sie ihn zur Fratze verzerren, weil sie ihm Luft und Lust rauben.

„Wir sind Helden“, der deutsche Pop-Hype dieses Frühlings, schert sich nicht um solche akademischen Fragen, beantwortet sie aber. Die Band überschüttet einen mit ernsten Anliegen und steckt sie in entwaffnende Melodien. „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“, fordert Sängerin Judith Holofernes auf der Debütsingle, „euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht wenn man sich bückt“. „Guten Tag“ ist eine zornig-verspielte Hymne, die sich von Radiostationen in Österreich und Hessen einen Weg zurück nach Berlin suchte, die Band schlagartig bekannt machte und Judith Holofernes schließlich in die Harald Schmidt Show katapultierte. „Guten Tag“ fügt sich gut in den Zeitgeist, der momentan nostalgisch klingt. Das Keyboard orgelt wie zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle, dazu der pumpende Bass und Judiths enervierender Stakkatogesang – schnell standen große Namen im Raum: Nena, die T-Shirts der Band trägt, die Humpe-Schwestern und ihre Bands Ideal und 2Raumwohnung. Die Achtzigerjahre- Show also, die Berliner Schule á la Paula oder Mia. Aber stimmt das alles denn eigentlich? „Lieber mit Elektropunk in einen Topf gesteckt werden als mit doofen Sachen“, sagt Judith Holofernes lapidar.

Die zweite Single „Müssen nur wollen“ und das für Juli angekündigte erste Album passen jedoch nicht recht in die Schublade, in die man die Gruppe eilig gepresst hat. Vor allem entkräften sie den Verdacht, Wir sind Helden seien eine Band nur nach Geschmack und Zuschnitt des Marktes. Oder, schlimmer noch, ein one hit wonder, Helden für einen Tag, wie Bowie sang. Dieser eine Hit aber, „Guten Tag“, ragt aus dem Debütalbum kantig heraus. Fast wirkt es, als sei er der Band im Probenraum in den Schoß gefallen. „Guten Tag“ haben sie nicht zufällig als erstes veröffentlicht, behauptet Judith Holofernes. „Das war es, was wir der Welt zuerst vor den Latz knallen wollten, vor allem inhaltlich.“ Die Band hatte ihre inzwischen vergriffene Debüt-EP selbst bezahlt, ohne Plattenvertrag ein Video gedreht und es an MTV geschickt. Als der Erfolg sich dann vor ihnen aufzutürmen begann und die Firmen anriefen, überstürzten die vier nichts. „Wir dachten: Wir unterschreiben gar nichts, bevor wir nicht ,Labels’ gefragt haben“, erzählt Holofernes. Die Berliner Firma sei ihr Wunschkandidat gewesen, weil sie „geschmackssicher“ andere deutsche Bands wie Notwist betreue. Wir sind Helden, scheint es, haben sich die Kontrolle nicht abknöpfen lassen. Weswegen Holofernes das Gerücht, der Bandname sei eine Idee der Plattenfirma gewesen, besonders amüsiert. „Die hätten sich die Haare gerauft.“ Vielmehr war der selbstbewusst klingende Titel das Ergebnis einer langen Suche und späten Nacht - und bedeutet trotzdem etwas. „Der Begriff ,Helden’ wird jetzt so inflationär benutzt. Wir wollten ihn zurückhaben für die Antihelden.“

Judith Holofernes, Schlagzeuger Pola Roi und Keyboarder Jean-Michel Tourette fanden sich beim „Kontaktstudiengang Popmusik“ in Hamburg. Das klingt steril, sei aber „ganz sexy“ gewesen. „Ein Landschulheim mit lauter Rockern.“ Im vorigen Jahr kamen dann Bassist Mark Tavassol und schließlich der Bandname dazu. Judith und Pola sind ein Paar und leben in Berlin, die anderen beiden in Hamburg und in Hannover. „Wir sind keine Berliner Band“, sagt Holofernes nach kurzem Überlegen, „sondern eine Band in Berlin“. Wir sind Helden machen Popmusik, die man am besten bei geöffnetem Fenster hört. Schuhe aus, es wird Sommer, sagen ihre Lieder. Der Sound der Achtziger sickert meist über den Synthesizer in den launigen Gitarrenpop des Quartetts. Davon einmal abgesehen, reiht sich Wir sind Helden ein in die Kette sehr guter deutscher Bands mit Frauen an Mikrofon und Gitarre, die kluge, selbstbewusste Popmusik spielen. Wie die verblichenen Lassie Singers, wie Stella und Viktoriapark.

Der Vergleich mit den Lassie Singers, der Band von Christiane Rösinger und Almut Klotz, freut Holofernes sichtlich, sie hat zeitweilig in dem von Klotz geleiteten Popchor mitgesungen, bis es mit Wir sind Helden Ernst wurde. Die Helden-Sängerin wurde 1976 in Berlin geboren, zog mit den Eltern wegen der guten Luft in den Breisgau, sang mit Schlapphut auf der Straße: B-Seiten von Elvis Costello, David Bowie, Michelle Shocked. Was aber in Freiburg Kunst sei, grenze in Berlin an Bettelei, gab sie einmal zu. Zum Studieren kehrte Judith zurück in die Hauptstadt. Ihr mal ungestümer, mal zarter Gesang macht bei Stücken wie „Denkmal“ fast alles aus. Wie sie da „Vollidiot“ kiekst, heiser und rebellisch, ist einfach hinreißend.

Judith Holofernes’ charismatische Stimme, ihr Rotz und Trotz verbürgen, was die vielen guten Sprüche der Texte plakatieren. Zum Beispiel, dass es ein Recht darauf gibt, sich zu verweigern. „Muss ich immer alles müssen was ich kann?“, fragt Holofernes auf der neuen Single, „eine Hand in den Sternen, die andere im Hintern vom Vordermann?“ So geht das immerzu weiter auf dem Debütalbum „Die Reklamation“. Wir sind Helden sind unzufrieden, verlieren aber deswegen nicht die gute Laune. Während Tocotronic, von denen man Beschwerden gewöhnt war, mittlerweile „mehr leise als laut“ davon erzählen, was sich die Jugendlichen selbst aufgebaut haben, informiert uns Holofernes kurz und bündig: „Wir kommen, um die anderen Helden abzumelden.“ Sie meint das so. Oder?

„Wir sind relativ ironiefrei, was die Texte angeht, präsentieren die aber ironisch“, sagt Holofernes. Längst ist ihr aufgegangen, dass „Müssen nur wollen“ auch als Motivationshymne herhalten könnte. Das kommt davon, immer einmal schlauer als der Rest zu sein. Selbst das Lied gegen den eigenen Hype haben „Wir sind Helden“ schon geschrieben: „Hol den Vorschlaghammer“, singt Judith da, „sie haben uns ein Denkmal gebaut“. Absagen, als Ansagen verkleidet. No more heroes. Und wenn, dann nur solche wie diese komischen Heiligen.

Wir sind Helden spielen am Donnerstag in der Maria am Ufer, 21 Uhr. Das Album „Die Reklamation“ erscheint am 7. Juli bei Labels Germany/Virgin.

Tobias Rüther

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