zum Hauptinhalt

Kultur: Gutes Auge, großes Herz

Die Berliner Sammlung Rosenkranz ist vielen unbekannt – ihre Werke zieren als Leihgaben zahlreiche Museen

Die Sammlung Rosenkranz dürfte nur wenigen wirklich bekannt sein. Bislang war sie nur einmal, 2002 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum, öffentlich zu sehen. Wer sie heute kennen lernen möchte, muss schon privater Gast im Hause Rosenkranz sein oder in den Büroräumen eine geschäftliche Verabredung mit dem vor drei Jahren nach Berlin umgezogenen Unternehmer haben. Und trotzdem lässt sich die Spur dieser Sammlung problemlos am neuen Wohnsitz verfolgen, ja fast ein Profil erstellen.

Immer wieder stößt man in Museen der Stadt auf diesen Namen: Das Entree des Ostasiatischen Museums in Dahlem schmückt als Leihgabe eine gewaltige Video-Installation von Nam June Paik, das Jüdische Museum erhielt mit 15000 Eisenköpfen ein umfassendes Werk von Menashe Kadishman, ein Warhol-Porträt Friedrichs des Großen sorgt in Sanssouci für Aktualisierung im Geiste der Pop-Art. Der kulturelle Gezeitensprung gehört zu den Charakteristika dieser bekannten-unbekannten Kollektion. Als Dieter Rosenkranz die Anbringung der roten Neonschrift von Maurizio Nannucci am Alten Museum übernahm, machte er für alle Welt lesbar, was auch seine tiefste Überzeugung ist: „All art has been contemporary“. Ob chinesische Rollbilder, Zeugnisse jüdischen Lebens in Berlin, friderizianisches Rokoko oder Nofretete – alle Kunst entsteht aus der Gegenwart, alle Kunst geht uns etwas an.

Aber wie sammelt ein solch offensichtlich universaler Kunstliebhaber? Seine Frau Si sagt, sie wisse es nicht und schwärmt von seinem untrüglichen Gespür für Qualität. Denn zwischen den beiden gibt es eine strikte Arbeitsteilung: Er macht die Erwerbungen, sie kümmert sich anschließend um die Bestände. „Für mich ist es jedes Mal eine Überraschung, für welches Werk sich Dieter am Ende entscheidet“, so die Hüterin des Bilderschatzes. Womit die wichtigsten Sammlungsprinzipien genannt sind. Dieter Rosenkranz ist ein Bauchsammler, wie er im Buche steht, das affektive Moment spielt die entscheidende Rolle. Ein Jäger also? Nein, das weist der Achtzigjährige weit von sich: „Die Werke müssen mir zufallen. Ich brauche kein Bild zwingend zu besitzen.“ Gibt es einen anderen Interessenten, zieht er sich häufig sogar wieder zurück, was meist zur Verunsicherung des Gegenbieters führt. Dann also doch eher der Typ Sammler? Eigentlich auch nicht, zumindest nicht im klassischen Sinne und mit klaren Zielvorgaben. „Ich sammle, was mir gefällt“, sagt er. „Die Systematik, das bin ich.“

Rosenkranz’ Schule waren die Sechzigerjahre, als die soziale Prägung, die Umwelt und nicht die genetischen Anteile als entscheidender Faktor für einen Lebensweg galten. „Ich wollte mir mein Umfeld positiv gestalten, mit Bildern von Künstlern, die mich erziehen können“, erzählt er. Diese Nähe zu den Künstlern, die erwartungsvolle Hingabe an ein Werk ist bis heute zu spüren. Ein gutes Auge und ein großes Herz, wird ihm im Katalog der Von der Heydt-Ausstellung bescheinigt, mit der erstmals systematisch die rund 300 Werke umfassende Sammlung in Augenschein genommen wurde. Drei große Gebiete ließen sich dabei unterscheiden: geometrische Kunst der europäischen Moderne, experimentelle Kunst der Sechzigerjahre bis heute und Kunst der amerikanischen Westküste.

In sechs alten Waschpulver-Kartons auf dem Speicher befanden sich damals die schriftlichen Unterlagen, als Museumsdirektorin Sabine Fehlemann zur Überraschung des Sammlerpaares darum bat, ihre Werke anlässlich des Von der Heydt-Jubiläums im gesamten Haus ausstellen zu dürfen. Was sich dann vor den Augen des Publikums ausbreitete, verblüffte vor allem die Besitzer: Zunächst entdeckten die beiden eine Sammlung und keine Ansammlung, wie sie selbst immer vermutet hatten. Sodann konnten sie sich endlich von der Qualität ihrer Kollektion überzeugen, der Richtigkeit vieler Entscheidungen, die sich erst im zeitlichen Abstand offenbart.

Der Zufall mag in den ersten Jahren so manches Werk dem Jungunternehmer zugeführt haben. Dass er zugriff, spricht für sein Gespür. So kam auch der Kontakt mit Christo zustande. Ihre Väter hatten geschäftlich miteinander zu tun, und als Christo junior aus seinem Heimatland Bulgarien in den Westen floh, fand er Unterschlupf beim Sohn des anderen. Daraus entwickelte sich Freundschaft, eine regelrechte Patenschaft, denn bis heute gehört der gebürtige Berliner zu den wichtigsten Unterstützern des Verpackungskünstlers. Vater Christo war es übrigens auch, der bei Rosenkranz diskret um einen helfenden Ankauf aus der ersten Pariser Ausstellung seines Filius bat. Die frühe Collage einer Ladenfront ist bis heute der Stolz der Sammlung.

Damals wusste der Maschinenbauer und Textilfabrikant, der noch heute in Villingen ein Unternehmen besitzt, nicht einmal recht, was er da erworben hatte. Aber gerade diese Offenheit, das Irritierende gefiel ihm gemäß der Maxime „Das Bild ist eine künstlerische Gestalt, die der Betrachter nach eigenen geistigen Fähigkeit vollendet“. Vor allem aber suchte der Geschäftsmann die Alternative zu den Bilanzen, dem beruflichen Zahlenstudium: „Kunst war für mich eine Befreiung von diesen Zwängen.“

Dafür war das Rheinland in den Sechzigern ein regelrechtes Mekka. Die Galerie Parnass in Wuppertal, die Galerie M in Bochum waren wichtige Drehscheiben junger Kunst und Rosenkranz dort regelmäßig zu Gast. In der Kölner Galerie von Mary Bauermeister traf er auf den jungen Nam June Paik und John Cage, die Komponisten Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und György Ligeti. Die Begegnung mit Paik sollte ihn nachhaltig prägen, Fluxus eines seiner Sammelgebiete werden. Die Beziehung zur Musik aber hat sich erst seit dem Umzug nach Berlin wieder intensiviert, wo Rosenkranz heute zu den Förderern der privat finanzierten Spectrum-Konzertreihe an der Philharmonie gehört.

Vor 18 Jahren schließlich kam neben Fluxus und Konstruktivismus (zur Sammlung gehören einige exquisite Stücke von Moholy-Nagy, Naum Gabo und Lajos Kassák) ein dritter Zweig hinzu. Das Paar hatte auf Anraten des Künstlerfreundes Klaus Rinke in Los Angeles einen Zweitwohnsitz bezogen; zur Rosenkranz-Holding gehörten mittlerweile auch Unternehmen in den USA . Für die beiden eröffnete sich mit Westcoast-Kunst ein völlig neuer Kontinent. Sie entdeckten Ed Ruscha, Sam Francis, Richard Long für sich. Seitdem lässt Rosenkranz die amerikanische Kunst nicht mehr los. Jüngste Erwerbung sind drei Arbeiten von James Turrell, genauer: deren Konzepte. Das Guggenheim Museum Bilbao hat bereits angefragt, denn es möchte diese Werke in der kommenden Ausstellung des Lichtkünstlers realisieren.

Rosenkranz erfüllen diese Gesuche mit Stolz. Er ist gerne daran beteiligt, Dinge anzuschieben. Deshalb gehört er auch zu den Motoren von Volker Hassemers „Forum Zukunft Berlin“, das zuletzt die „Berliner Konferenz für europäische Kulturpolitik“ mit Jacques Delors als Gastredner organisierte. Der Name Rosenkranz tauchte nicht groß dabei auf. Wer aber genau hinschaute, konnte ihn entdecken. Ebenso wie die Kunst, die das Sammlerpaar an den verschiedenen Orten der Stadt für findige Sucher der großen Öffentlichkeit überlassen hat.

Zur Startseite