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Guy Tillim: Afrikafotografien: Heute keine Post

Putz blättert, Akten verrotten - dennoch wird gearbeitet. Guy Tillims Afrikafotografien sind jetzt bei Kuckei + Kuckei zu sehen.

Ruhm zerbröselt. Prachtgebäude, die von der Größe ihrer Erbauer erzählen sollten, verwandeln sich in Gespensterpaläste. Denkmäler werden von ihren Sockeln geholt und auf Hinterhöfen abgestellt. Nur die Beamten sind geblieben. Sie sitzen zwischen verrottenden Akten und atemberaubend installierten Stromleitungen an ihren Schreibtischen und gehen seltsamen kafkaesken Beschäftigungen nach.

So hat Guy Tillim Afrika fotografiert: als Ort, der Ruinenromantik und Pragmatismus in sich vereint. „Avenue Patrice Lumumba“ heißt die Bilderserie, für die der weiße südafrikanische Fotograf 2008 mit einem Harvard-Stipendium ein Jahr lang in Angola, Benin, Mosambik, im Kongo und auf Madagaskar unterwegs war. „Diese Fotos erzählen keine Zusammenbruchsgeschichten aus postkolonialen afrikanischen Staaten, sie sind auch keine Meditation über Aspekte spätmodernistischer Kolonialstrukturen, sondern ein Gang durch eine Avenue der Träume“, sagt Tillim. Seine Fotos sind am Ende einer Europatournee durch Paris, Porto, Amsterdam, Antwerpen und Zürich in Berlin angekommen. Die Räume der Galerie Kuckei + Kuckei reichen nicht aus, um alle 58 großformatigen Motive gleichzeitig zu präsentieren. Ein Teil hängt nun an den Wänden, die anderen können eingesehen werden. Tillim, 1962 in Johannesburg geboren, arbeitete ursprünglich als Fotoreporter. Von der Tagesaktualität hat er sich längst abgewandt, seine monumentalen, poetisch schönen Aufnahmen von Regierungs- und Verwaltungsbauten, alternden Hotels und Wohnblöcken bilden geradezu das Gegenteil einer Nachricht ab, die totale Ereignislosigkeit. Die Zeit wirkt auf ihnen wie gefroren.

In einem ehemaligen Grandhotel in der mosambikanischen Provinzhauptstadt Beira trocknet Wäsche auf der Dachterrasse, im zugewucherten Swimmingpool hat sich Regenwasser gesammelt. Der Putz fällt von den Wänden, der in allen erdenklichen Grautönen changierende Beton scheint zu verschimmeln. An einem Gebäude im angolanischen Luanda sind die Aufzüge verrammelt, Treppen führen ins Nichts. In der Bibliothek eines Sportclubs im Kongo fügen sich herabhängende Tütenlampen, der Blumenstrauß auf einem Tisch und das Zufallsmuster einer Wand, von der die Farbe abplatzt, zu einem betörend surrealen Stillleben.

Die Räume wirken verwaist, aber in ihnen wird immer noch gearbeitet, das beweisen die altmodischen Telefone und Büroutensilien auf den Tischen, die frisch beschriebenen Blätter in den Ablagen und die Bilder an den Wänden, die die Skyline von New York oder lachende Anti-Aids-Aktivisten zeigen. Manchmal sieht man auch Menschen. Sie sitzen hinter Schreibmaschinen, laufen mit Papieren unter dem Arm durch Flure oder stehen vor Fenstern und schauen in den afrikanischen Himmel. Er ist nicht bilderbuchblau, sondern diesig und wolkenverhangen. Irgendwo da draußen muss es stattfinden, das wirkliche Leben.

Geschichte ist anarchisch. Sie verläuft anders, als Politiker, Städtebauer und Architekten sie planen. Das ist die Botschaft von Tillims Bildern. Tillim hält fest, was aus Ideologien wird, wenn sie im Alltag ankommen: Zerfallsprodukte. Er zeigt den Staub auf den Akten, den Schmutz auf den Wänden und leere Postfächer. Eines der schönsten Fotos ist eine Straßenszene aus Benin. Zu sehen ist braune körnige Erde, auf der die Eisenkugeln eines Petanque-Spiels liegen, eine Boule-Variation. Eine Kugel landet gerade in der Bildmitte. Wer gewinnen wird, steht noch nicht fest. Die C-Prints kosten im Großformat (91 x 131 cm, 9er-Auflage) 5800 und im Mittelformat (50 x 71 cm, 6er-Auflage) 2800 Euro.

Kuckei + Kuckei, Linienstr. 158, bis 10. Juli, Di–Fr 11–19, Sa 11–17 Uhr. Tillims Fotoserie „Avenue Patrice Lumumba“ ist als Bildband im Prestel Verlag erschienen (49,95 €).

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