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Kultur: György Ligeti im Gespräch: Warum sind Sie gegen Weltmusik, Herr Ligeti?

György Ligeti, 78, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten. Zu seinen Hauptwerken gehören "Lux Aeterna", "Requiem" und die Oper "Le Grand Macabre".

György Ligeti, 78, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten. Zu seinen Hauptwerken gehören "Lux Aeterna", "Requiem" und die Oper "Le Grand Macabre". Er wuchs als ungarischer Jude in Siebenbürgen auf und floh 1956 in den Westen. 1961 gelang ihm der Durchbruch mit dem Orchesterstück "Atmosphères". Seine Musik lebt von Klangflächen, mikropolyphonen Strukturen und komplexer Polyrhythmik. Ligeti ist Ehrenpräsident des am Freitag in Berlin beginnenden Fests der Kontinente.

Herr Ligeti, am 12. Juni stellen Sie Ihren Klavieretüden die Musik des Aka-Pygmäenchors aus Zentralafrika gegenüber. Ist das als Nebeneinander zu verstehen, als Kontrast, als ein Beleg für Universalität?

Universalität ist es nicht. Es handelt sich um bestimmte rhythmische Konfigurationen, die allein in der afrikanischen Musik existieren. Dafür sind die Aka-Pygmäen ein gutes Beispiel. Das ist nahezu reine Vokalmusik, die sich so anhört wie Schweizer Jodeln - nur mehrstimmig. Ich habe diese hochentwickelte Musikkultur zufällig durch Simha Aroms Aufnahmen kennengelernt. Sie hat mit meiner Musik direkt nichts zu tun.

Was reizt Sie an diesem Gegenüber?

Es ist kein Gegenüber. Die afrikanische Musik südlich der Sahara hat mir eine ganz neue Denkweise eröffnet - wie auch anderen Komponisten, etwa Conlon Nancarrow oder Steve Reich. Sie mit meinen Klavieretüden zu konfrontieren, ist insofern berechtigt, als ich sehr viele Anregungen von Banda Linda bezogen habe, von afrikanischer Xylophon- und Lamellophonmusik, von Mbira oder Kalimba. Das wollte ich aufs Klavier übertragen, aber eben nicht folkloristisch. Ich halte diese Anregungen für äußerst wichtig, denn sie könnten die gesamte Neue Musik aus einer Sackgasse herausmanövrieren, die Zwölftonmusik genauso wie die Postmoderne.

Wie wirkt die Begegnung der beiden musikalischen Kulturen denn auf jemanden, der sich zuvor mit keiner von ihnen beschäftigt hat?

Man kann die Musik sinnlich erleben, auch wenn man ihre Struktur nicht versteht. Die Pygmäen lernen ihre Musik schon als Kinder und nicht bewusst. Sie singen zusammen, um sie zu reproduzieren. Simbha Aron aber hat diese Musik analysiert und kann sie erklären.

Was hören umgekehrt die Pygmäen, wenn sie mit Ihrer Musik konfrontiert werden?

Keine Ahnung. Aber ich kann Ihnen dazu eine Anekdote erzählen. Ich habe unlängst, auf französisch, eine Musikkritik von der Elfenbeinküste gelesen. Das Goethe-Institut hatte ein deutsches Bläserquintett geschickt, und da stand dann: Die deutschen Bläser sind so geschwind, sie haben gut gearbeitet; am Ende waren sie schweißüberströmt. Ich glaube nicht, dass Leute eine Sprache verstehen, die sie zum ersten Mal hören.

Allen vergangenen Bemühungen um Weltmusik und Crossover zum Trotz?

Das sind Bezeichnungen, die sich die Plattenfirmen ausgedacht haben. Diese ganze Weltmusik ist ein Blödsinn, ein Gag, ein Verkaufstrick. Es gibt so viele verschiedene Traditionen, die sich gegenseitig befruchten können, aber eine Synthese ... ? Universell sind bei den Menschen, rein physiologisch, nur zwei Dinge: Lachen und Weinen. Und dass wir die Fähigkeit zum Sprechen haben und zum Rhythmus. Welchen Rhythmus wir lernen und welche Sprache, das ist nicht festgelegt.

Aber auch wenn man nichts versteht: Man nimmt doch einen Eindruck mit. Man sieht, wie einer ein freundliches Gesicht macht ...

Ich kann sehr freundlich die schlimmsten Dinge sagen (flucht erst auf schwedisch, dann auf rumänisch). Nein, ich glaube nicht an die Verschmelzung. Ich bin ein Emigrant und musste viele Sprachen lernen, und es hat mich bereichert, aber ich bin dagegen, Sprachen miteinander zu vermengen.

Andererseits gibt es auch in Afrika Popmusik, die vom Westen träumt und das Bedürfnis hat, sich das "Andere" anzueignen.

Aber selbstverständlich! Sie haben Radio und Fernsehen, und die Pygmäen jagen heute mit Walkie-Talkie. Dennoch bin ich strikt gegen die geschäftliche Ausnutzung solcher kulturellen Vermischungen.

Aber was ist die Alternative? Wie schaffe ich nicht-ausbeuterische Verhältnisse, um fremde Musik mit einem eurozentrischen Bewusstsein zusammenzubringen?

Für das Fest der Kontinente sollte der Berliner Senat mehr Geld geben! Es ist sehr schön, wenn es 15 Opern gibt und 100 Orchester - aber solche anderen Dinge sind wichtiger, denn es ist langweilig, immer nur Wagner zu hören.

Wann sind Sie zum ersten Mal mit außereuropäischer Musik in Berührung gekommen? Haben Sie ihr großes polyrhythmisches Cembalostück "Continuum" von 1968 noch ohne jede Kenntnis davon geschrieben?

"Continuum" ist ein gutes Beispiel für inherent patterns, für melodisch-rhythmische Gebilde, die man nicht hört, aber spielt, ganz wie in der afrikanischen Xylophonmusik. Man hat eben manchmal Ahnungen von Dingen, die man noch gar nicht kennt. Bestimmt hätte ich 1982 nicht positiv schockiert diese afrikanischen Aufnahmen gehört, wenn ich nicht bereits in einer Richtung konditioniert gewesen wäre.

Gibt es in der Begegnung der Kulturen nicht auch Konflikte, etwa zwischen Komposition und Improvisation?

Was die Aka-Pygmäen machen, sind keine improvisierten Stücke. Das sind immer rituelle Anlässe, bei denen die Kinder von Anfang an mit dabei sind: Geburt, Tod, Jagd, Heirat, was ich selbst auch in Siebenbürgen erlebt habe. 100 Jahre lang wird etwas mündlich überliefert und verändert sich dabei. Die Pygmäen brauchen einen Leiter, fast so etwas wie einen Dirigenten. Er fängt an, und die anderen Stimmen müssen sich anpassen; manchmal irren sie sich und beginnen von neuem. Die Strickmuster müssen passen.

Funktioniert diese Musik denn auch außerhalb des Rituals?

Mittlerweile ist sie säkularisiert. Auch Mozart-Messen hören wir heute ja als Konzertmusik. Die Rituale sind weitgehend durch die europäisch-amerikanische Technologie ersetzt. Die Elefanten etwa werden mit riesigen Netzen eingefangen, manchmal sind hundert Leute dabei. Bis heute muss sich dann einer in Lebensgefahr begeben, unter den Elefantenbauch kriechen und mit einem Messer die Harnblase des Elefanten aufschneiden - dann verblutet das Tier. Die anderen müssen sich währenddessen verständigen, das geschah früher mit Jodeln. Wegen der Walkie-Talkies werden diese Gesänge nun unabhängig von der Jagd gesungen, auch zum Zeitvertreib. Aber jetzt will ich Ihnen eine ganz andere Geschichte erzählen ...

Eine andere Geschichte?

Berlin hatte ein Institut für traditionelle Musik in der Winklerstraße 20. Das Budget dieses Instituts wurde vor ein paar Jahren mit einem Kugelschreiberstrich gelöscht: Das war kriminelles Kulturgangster- und Banausentum. Eine Million Mark zahlte das Land Berlin, eine weitere Million kam vom Auswärtigen Amt. Yehudi Menuhin und ich haben damals Offene Briefe geschrieben - es hat nichts genutzt. Daran sind zwei Menschen schuld. Der eine war Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, der andere sein Nachfolger Peter Radunski. Aber man könnte das Institut leicht wieder einrichten.

Was befindet sich heute in den Räumen?

Nichts. Das Haus verrottet. Überall wächst Unkraut. Es war nicht nur das beste Insitut in Deutschland, sondern auf dem ganzen europäischen Kontinent. Es gibt noch ein bedeutendes musikethnologisches Institut in London, eines in Washington und eines in Fernost. Berlin hatte ein großes Archiv mit mehr als 100 000 Aufnahmen. Man hat Konzerte veranstaltet, teils zusammen mit dem Haus der Kulturen der Welt, Forscher eingeladen, Bücher herausgegeben und eine Zeitschrift.

Was ist aus dem Material geworden?

Abertausende von Tonbändern liegen, in Kisten eingepackt, im Keller der Bamberger Universität: Der ehemalige Institutsleiter, Max-Peter Baumann, hat dort eine Professur. Die bolivianische Regierung hatte damals vorgeschlagen, das ganze Institut samt Material und Mitarbeitern auf eigene Kosten nach La Paz transportieren zu lassen. Keine Antwort vom Berliner Senat. Die Sache ist durchaus nicht verloren. Dauernd ist von Weltstadt die Rede, von Hauptstadt, alles wichtig - und diese Ignoranten im Senat schließen dieses Institut!

Ist es angesichts des Milliardenlochs im Berliner Haushalt nicht der falsche Zeitpunkt, so etwas zu fordern?

Sie glauben an dieses Loch?

Sie nicht?

Nein. Wenn Gelder für Repräsentationszwecke da sind, dann müsste man einfach etwas billigere Kanzlerämter bauen ...

...oder etwas weniger Wagner spielen ...

Ja. Das Fest der Kontinente und dazu ein wiederauferstandenes Institut - das kostet wenig und festigt den internationalen Ruf.

Woher soll das Geld kommen?

Es gibt bestimmt viele internationale Firmen, die gern ihren Namen in Verbindung mit einem solchen Institut sehen würden. Außerdem ist Deutschland immer noch ein funktionierendes Land.

Das Geld ist also falsch verteilt.

Total falsch. Ich verstehe sehr gut, dass alle drei Opernhäuser weitermachen wollen und alle acht Orchester auch. Die Vereinigung hat aber eine Situation geschaffen, die sich so nicht länger aufrecht erhalten lässt. Ich möchte etwas viel Grundsätzlicheres ansprechen: Die europäische Musik braucht eine kulturelle Injektion von außereuropäischer Musik - und zwar nicht als Fusion, Crossover oder Worldmusic.

Berlin wäre dafür genau der richtige Ort.

Ja! Berlin ist chaotisch, Berlin ist nicht zusammengewachsen, Berlin ist offen! Das ist alles so einfach. Man müsste die Kisten aus Bamberg zurückholen. Und der Senat müsste sich einsetzen. Kennen Sie da jemanden?

Herr Ligeti[am 12. Juni stellen Sie Ihren Klavier]

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