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Kultur: Hab’ Sehnsucht, weiß nicht wonach

Die Berliner Sängerin Masha Qrella ist zum heimlichen Star des deutschen Pop aufgestiegen

Selbstausbeutung hat auch angenehme Seiten. Das Büro der Berliner Plattenfirma Morr Music, untergebracht in einem Hinterhofwohnung am Prenzlauer Berg, erinnert an eine Studenten-WG. Besucher werden mit grünem Tee empfangen, an den Wänden hängen pastellfarbene Plakate der von dem Label vertretenen Künstler, die so niedlich-verspielte Namen wie Lali Puna, Ms. John Soda oder Styrofoam tragen. Prunkstück der Ausstattung ist ein Kicker-Gerät, an dem sich die Mitarbeiter zwischendurch von ihrer Schreibtischarbeit erholen können. Tischfußball hilft gegen Verspannungen, ein idealer Bürosport. „Vorsicht, ich bin in ziemlich guter Form“, warnt Masha Qrella. Eigentlich soll sie bloß für ein paar Fotos posieren, aber natürlich geht sie gleich aufs Ganze. Gegen den Tagesspiegel liegt sie schnell vorne: 3:0.

Masha Qrella ist, sportjournalistisch gesprochen, ein Siegertyp. Schon ihr Solodebüt „Luck“, das im Herbst 2002 bei Monika Enterprise herauskam, ließ aufhorchen. Die Gitarristin und Keyboarderin, die mit ihren Bands Mina und Contriva zum heimlichen Star der Berliner Independentszene aufgestiegen war, überraschte mit halb akustischen, halb elektronischen Balladen von entrückter Schönheit. Und während Mina und Contriva nahezu ausschließlich instrumentale Titel aufgenommen hatten, sang Qrella nun auch: mit spröder, ungemein charismatischer Stimme, die englischen Texte fast beiläufig hauchend, summend, flüsternd. Die Stücke hießen „You Won’t Be There“ oder „All She Feels Instead“, sie handelten von unerfüllbaren Sehnsüchten, von glücklichen und unglücklichen Lieben. „Ein schönes Album, das sich Zeit nimmt und Zeit braucht; ein Album, das sagt: Ich ist, wo mein Song ist“, schwärmte die „taz“.

Ein sanftes elektronisches Scheppern wie von einem Tamburin. Dann beginnt eine Drum Machine zu pluckern, Akustikgitarren-Akkorde fädeln sich in den Rhythmus, der Gesang setzt ein: „No silent night / no driving home / the fallen snow reminds me of ...“. So beginnt „Unsolved Remained“, das Titelstück von Qrellas gerade erschienener zweiten CD. „Unsolved Remained“ macht da weiter, wo „Luck“ aufhörte, die herbe Anmut der sanft und entspannt vor sich hinfließenden Songs ist geblieben, nur die Arrangements sind deutlich ausgefeilter.

„My Day“ schichtet wabernde Keyboardflächen und mit Halleffekten unterlegte Gesangspartien übereinander, bei „Everything Shows“ erhebt sich fieses Syntheziser-Gefiepe aus behaglich knisternden Lagerfeuer-Gitarrenakkorden. „Destination Vertical“ basiert auf einem Track der Berliner Laptop-Avantgardisten Rechenzentrum, bei „I Can’t Tell“ benutzte Qrella einen Track, den ihr der Stockholmer Elektronik-Minimalist Henrik Johannsen geschickt hatte. Sie arbeitet mit Verzögerungen und Taktverschiebungen, ihre Loops klingen auf eine spezifische Art asynchron, „eckig“ sagt sie selbst dazu. Ihre Musik hat gewissermaßen Fehlstellen, auch die Texte verzichten auf klare Botschaften und spielen lieber mit Andeutungen. Es geht um Freundschaften und Erinnerungen, nicht um die ganz großen Gefühle, eher um kleinere Gewissheiten. „Feels like something’s going wrong / feels like I am far from home / feels like to be all alone“, heißt es wehmütig in „Feels Like“. „Unsolved Remained“ ist eines der besten Singer/Songwriter-Alben des Frühjahrs.

Zur Songwriterin ist Masha Qrella nach einigen Umwegen geworden. Als Schülerin war sie Fan von John Luries Jazzpopband Lounge Lizards, sie spielte Saxofon und Bass und gründete 1994 nach dem Abitur mit Freunden in Pankow gleich zwei Gruppen: Mina und Contriva. Dass es schon eine Sängerin gab, die Mina heißt, erfuhr die Band erst bei einer Tournee durch Italien.

Sie hatten den Namen ausgesucht, „weil er so schön klingt“, sagt Qrella und zählt gleich einige Übersetzungen auf: „Auf Japanisch heißt Mina Rose, auf Spanisch Mädchen und auf Italienisch Bombe.“ Mit Fremdsprachen kennt die 29-Jährige sich aus. Sie hat an der Humboldt Universität Übersetzen mit dem Schwerpunkt Russisch und Spanisch studiert, von ihrer Musik lebt sie seit drei Jahren. Mina veröffentlichen ihre ersten Platten auf dem eigenen Label Lok Musik, schon bald sorgen sie auch international für Aufmerksamkeit. 2001 lädt die britische Band Stereolab sie zu ihrer Europatour ein, mit Stereo Total spielen sie in Frankreich.

„Man muss sich darüber klar sein“, erzählt die Sängerin, „dass man bei einer Tour nicht die Welt, sondern immer nur den selben kleinen Ausschnitt sieht: Ein Backstage ist ein Backstage, egal, ob er sich in Paris, Barcelona oder Magdeburg befindet.“ Ihre bislang bizarrste Reise führte sie zusammen mit Jim Avignon, Felix Kubin und Nova Huta auf Einladung des Goethe-Instituts nach Moskau. Der erste Auftritt fand vor Kultur-Honoratioren im edlen Ambiente eines Clubrestaurants statt, der nächste als Openair-Veranstaltung auf einem Marktplatz. Vor den deutschen Musikern turnten minderjährige Karaoke-Sängerinnen über die Bühne, „niemand hat uns beachtet, es war eine Katastrophe“. Mina und Contriva liegen derzeit auf Eis: Der Contriva-Schlagzeuger ist nach Rostock gezogen, der Mina-Schlagzeuger wird Vater. Um nicht unterbeschäftigt zu sein, gründete Qrella mit dem Schlagzeuger Chriegel Farner und dem Bassisten Norman Nitzsche, ihrem Freund, im letzten Jahr eine neue Band: NMFarner.

Masha Qrella sieht sich „nicht unbedingt als geborene Performerin“. Ihre größte Herausforderung als Bühnenmusikerin war vor anderthalb Jahren, nach der Veröffentlichung von „Luck“, eine Europatournee mit Calexico. Die kalifornischen Wüstenrocker traten in großen, durchweg ausverkauften Hallen auf. „Ich war total überrascht, dass mich deren Fans nicht von der Bühne gebuht haben.“ Stattdessen jubelten die Zuhörer, und Calexico waren von Qrellas Musik so angetan, dass sie die Kollegin bei einem ihrer Stücke begleiteten. Ein Triumph.

Masha Qrella spielt Dienstag und Mittwoch im Bastard, Kastanienallee 7-9 (Prenzlauer Berg), 21.30 Uhr.

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